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II. Kapitel. Negative Dialektik: Adornos Verhältnis zu Hegel

  > 1. Das "Rationelle" an Hegels Dialektik
    > a) Das Verhältnis von Kraft und Äußerung
    > b) Das Urteil
    > c) Die dialektische Methode
  > 2. Der Fehler Hegels
  > Exkurs: Probleme der Hegel-Rezeption
    > b) Nichtidentität
    > c) Konstellation
    > Anmerkungen


Die Beziehung auf Kant stellt im Denken Adornos das negative Moment dar, die Seite der Kritik des üblichen naiven, positivistischen oder metaphysischen Denkens. Die festgehaltene inhaltliche und formelle Differenz von Sache und ihrem Begriff wendet Adorno gegen alle Theoretiker, die, wie auch immer, meinen, "die Sache ganz zu haben" - auch gegen Hegel. Trotzdem, und gerade weil er diese Auffassung immerzu an Hegel "sich abarbeiten" läßt, kann gesagt werden, daß sich im Verhältnis zu Hegel die Methode der 'Negativen Dialektik' positiv definiert.

Adorno bestimmt jedes Moment seines Verfahrens in Bezug auf Hegel, er beansprucht, dem Gedanken der Dialektik treuer zu sein als dieser und somit das Kritische und Wahre im Denken Hegels und gegen ihn gerettet zu haben. Nun hat Dialektik im Reich der modernen Wissenschaft einen ausgesprochen schlechten Klang - vielleicht nicht zu unrecht. Daß Adorno sich zur Dialektik bekennt, hat ihm, wie schon oben erwähnt, die härtestem Vorwürfe eingetragen, die von seiner Seite dann postwendend mit dem Verdikt beantwortet wurden, der Kritiker könne und wolle eben nicht dialektisch denken. 1) Der Begriff der Dialektik hat die Diskussion im 'Positivismusstreit' so verhärtet und zu einem Streit um Worte gemacht, daß man gar nicht sah, wie wenig unvereinbar die Positionen auch damals schon waren. 2) Dialektik ist - und zwar nicht nur durch eine etwaige Unbeweglichkeit der damaligen Schulhäupter - zu einer Glaubensfrage geworden. Es soll hier gezeigt werden, daß dieser Umstand in der Verfassung dessen liegt, was nach Hegel Dialektik geheißen wurde, und wie sich dieses methodische Ideal zu Hegels eigenen Argumenten verhält, bzw. inwieweit Hegel selbst schuld an den gängigen Auffassungen von Dialektik geworden ist.

Wenn "Dialektik" heute in der wissenschaftlichen Diskussion ins Feld geführt wird, so geschieht dies mit Berufung einerseits auf Engels, auf Lenin und ihre Schüler, und andererseits vornehmlich auf die Frankfurter Philosophie. Hatten die ersteren ihr philosophisches Bedürfnis nach einer "marxistisch" gesehenen Einheit der Welt durch die Entdeckung einer Anti-Geist-Metaphysik befriedigt, die Materie zum Innersten der Welt gemacht und als ihre Haupteigenschaft die dialektische Bewegung genannt, mit der sie nun jeden Zustand der Welt als irgendeinen Punkt in der dialektischen Bewegung des Fortschritts interpretieren können, so leisteten die Frankfurter - soviel sei noch vor der besonderen Untersuchung gesagt - allein durch ihre Wirkung auf das Geistesleben einen Beitrag zur Sozio1ogisierung des Denkens. Daß alles "vermittelt" sei, in gesellschaftlichen Zusammenhang stehe, "nicht für sich betrachtet werden dürfe", wird heute so sehr für eine Einsicht in die Natur irgendeiner Sache gehalten, daß man sicher sein darf, daß die Berufung auf die Dialektik, nach der sich die Begriffe und historischen Entwicklungen verhielten, nichts anderes ist als ein gelehrter Ausdruck dafür, daß die Bestimmtheit einer Sache oder ihrer Beziehung zu anderem nicht gewußt wird. 3)

Dieses Kapitel soll folgende Fragen erörtern: 1. Was ist rationell an Hegels Dialektik, in welcher Hinsicht ist von ihm zu lernen? 2. Worin besteht sein Fehler, mit dem er der späteren, weit unter seinem "Niveau" stehenden Verwendung seiner Dialektik Vorschub leistet? 3. Worin besteht die gang und gäbe Hegelrezeption der Gegenwart? Und 4. Wie führt Adorno in seinem philosophischen Denken die Auseinandersetzung mit Hegel? Welche Bedeutung haben bei ihm die Kategorien von Negation, Widerspruch, System und Beziehung zu anderem? Im Anschluß daran soll versucht werden, eine allgemeine Charakterisierung der philosophischen "Methode" Adornos zu geben, durch die auch seine Besprechung wirklicher Gegenstände geprägt ist.

Der Darstellung Hegels im folgenden wird verhältnismäßig großer Platz gewidmet, und zwar nicht ohne Grund. Die sachliche und förmliche Berufung auf Hegel durchzieht die Frankfurter Philosophie nämlich in all ihren wesentlichen Positionen.

1. Das "Rationelle" an Hegels Dialektik

Daß an Hegels Dialektik "etwas dran" ist, daß man von ihm durchaus noch etwas lernen kann, ist Gemeingut in der Philosophie des 20. Jahrhunderts und der Grund dafür, daß man ihn nicht mehr wie einen "toten Hund" behandelt. Was man aber von ihm zu lernen habe, darüber herrscht vollkommene Unklarheit, und zwar auch bei denen, die den Verweis auf Hegels Dialektik ihrer Marxlektüre verdanken, also der Beschäftigung mit dem Mann, von dem Theunissen meint, er sei vielleicht der einzige im 19. Jahrhundert, der die Hegelsche Logik verstanden habe. 4) Von Marx weiß man, daß er selbst mit der "Methode der Hegelschen Dialektik" "kokettierte" 5) ja daß er ihr vieles verdankte:

"In der Methode des Bearbeitens hat es mir großen Dienst geleistet, daß ich by mere accident ... Hegels Logik wieder durchgeblättert hatte. Wenn je wieder Zeit für solche Arbeiten kommt, hätte ich große Lust, in zwei oder drei Druckbogen das Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber zugleich mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand zugänglich zu machen." 6)

Für Marx ist die Zeit nicht mehr gekommen, und so blieb es nicht nur dabei, daß das Rationelle und das Mystische der Dialektik ungeschieden über1ieft sind, sondern man gewöhnte sich, vielleicht sogar in Anlehnung an das Marx-Zitat, daran, Hegels Dialektik für eine Methode, Theorie zu treiben, zu nehmen, deren man sich bedienen könne oder auch nicht. Hegel aber hatte immer wieder darauf insistiert, daß die Dialektik die Methode des Denkens sei, nicht irgendeine. Diese Differenz soll zunächst näher bestimmt werden.

Nach den Empfehlungen der Wissenschaftstheorie und auch in der Praxis der Geisteswissenschaften werden Methoden konstruiert, 7) hermeneutisch vorgreifend der Sache "entsprechend" gewählt 8) oder einfach frei erfunden 9), um dem Denken einen Leitfaden bei der Erforschung seiner Gegenstände oder eines bestimmten Gegenstandes zu geben. Die Objektivität dieses Denkens ist damit schon vor aller besonderen Ausgestaltung der Methode ad acta gelegt, denn das Denken bekommt damit eine nicht von ihm selbst stammende Richtschnur, die als sachfremde ja kaum den richtigen Gang dessen sicherstellen kann, was ihr fremd ist. Soll die Angemessenheit der Methode an die Sache irgend noch nachgewiesen werden, so verwickelt sich dieser Versuch notwendigerweise in Widersprüche: entweder man verweist auf die "Fruchtbarkeit" der Methode, auf ihre Resultate, mit denen man zufrieden ist, dann hat man sich freilich eines Zirkels schuldig gemacht; denn ob man Grund zur Zufriedenheit hat, ob die gefällten Urteile auch die Sache treffen, ist keineswegs eine Frage einer subjektiv gewählten Methode, die natürlich immer das herausbringt, was man vorher als formales Erkenntnisinteresse in sie hineingepackt hat. Wer andererseits die Notwendigkeit, die Angemessenheit der Methode zu prüfen, anerkennt, wird nie zu ihrer Anwendung kommen, denn ohne eine Kenntnis der Natur der zu untersuchenden Sache wird sich die angemessene Methode nicht bestimmen lassen; hat man diese Kenntnis aber einmal, dann wird die Bestimmung der Methode, die dazu führt, nicht mehr nötig sein.

Präskriptive oder normative Erstellung von Methoden für die Wissenschaft ist also von vornherein ein Bekenntnis zur instrumentellen, nicht objektiven Theorie. Die Methode des Denkens kann offenbar weder vor der Erforschung von Gegenständen "freihändig" erstellt werden, noch nützlich sein für dieselbe. Das Gegenteil behauptet Hegel demnach richtigerweise von seiner 'Logik': die Methode des Denkens ist der Gang der Gedanken selbst, und damit - in der Logik - der Gegenstand der Logik.

"Die Exposition dessen aber, was allein die wahrhafte Methode der philosophischen Wissenschaft sein kann, fällt in die Abhandlung der Logik selbst; denn die Methode ist das Bewußtsein über die Form der inneren Selbstbewegung ihres Inhalts." 9a)

Die "Wissenschaft der Logik" entwirft sich das Denken nicht und tut nicht so, als ob es erst noch erfunden werden müßte, sondern untersucht das stattgehabte Denken und hebt an ihm die allgemeinen Momente, seine Gesetze heraus. Im Gegensatz zu Kant, der das Denken vor seiner Anwendung, also vor seiner Wirklichkeit untersuchen will, legt Hegel Wert darauf, daß die Untersuchung der Kategorien des Denkens selber Denken ist, sie also ihre eigene Selbstuntersuchung betreiben:

"Die Denkformen müssen an und für sich betrachtet werden; sie sind der Gegenstand und die Tätigkeit des Gegenstands selbst; sie selbst untersuchen sich, müssen an ihnen selbst sich ihre Grenze bestimmen und ihren Mangel aufzeigen. Die ist dann diejenige Tätigkeit des Denkens, welche demnächst als Dialektik in besondere Betrachtung gezogen wird und von welcher hier nur vorläufig zu bemerken ist, daß dieselbe nicht als von außen an die Denkbestimmungen gebracht wird, sondern vielmehr als derselben innewohnend zu betrachten ist." 10)

Bei dieser Untersuchung macht sich das Denken zum Gegenstand von sich; wie sich jede Wissenschaft einen ihr vorausgesetzten Gegenstand wählt, so auch die Wissenschaft vom Denken. Sie schafft sich ihr Objekt nicht, sondern findet es in der Wirklichkeit der Wissenschaften schon vor.

"Vors erste aber ist es schon ungeschickt zu sagen, daß die Logik von allem Inha1te abstrahiere, daß sie nur die Regeln des Denkens lehre, ohne auf das Gedachte sich einzulassen und auf dessen Beschaffenheit Rücksicht nehmen zu können. Denn da das Denken und die Regeln des Denkens ihr Gegenstand sein sollen, so hat sie ja unmittelbar daran ihren eigentümlichen Inhalt; sie hat daran auch jenes zweite Bestandstück der Erkenntnis, eine Materie, um deren Beschaffenheit sie sich bekümmert. " 11)

Deshalb ist sie auch keine Anweisung für das Denken, sie ist vom Standpunkt der Wissenschaften aus sogar unnütz, weil sie ihnen erst hinterherkommt und zu ihrem Erfolg nichts mehr beitragen kann. Hegel ist sich dessen vollkommen bewußt, wenn er Aristoteles dafür kritisiert, die logische Wissenschaft unter die Mittel, die nützlichen Wissenschaften und Verhaltensweisen gerechnet zu haben. 12) Der Mensch braucht für seine praktische und theoretische Arbeit die Wissenschaft der Logik nicht, denn er betätigt ihre Gesetze längst, "so sehr natürlich ist ihm das Logische." 13) Die wissenschaftliche Bildung kann durchaus auf die Logik verzichten und sie andererseits erst nach der Kenntnis des Kreises der einzelnen Disziplinen richtig schätzen. Für den Neuling in den Wissenschaften gilt die Logik

"... für eine isolierte Beschäftigung mit den Denkbestimmungen, neben der die anderen wissenschaftlichen Betätigungen ein eigener Stoff und Gehalt für sich sind, auf welche das Logische etwa einen formellen Einfluß hat, und zwar einen solchen, der sich mehr von selbst macht... " 14)

"So erhält das Logische erst dadurch die Schätzung seines Werts, wenn es zum Resultate der Erfahrung der Wissenschaften geworden ist; es stellt sich daraus als die allgemeine Wahrheit, nicht als eine besondere Kenntnis neben anderem Stoffe und Realitäten, sondern als das Wesen alles dieses sonstigen Inhalts dem Geiste dar." 15)

In der letzten Formulierung Hegels kündigt sich schon der Umschlag der logischen Wissenschaft ins Irrationelle an, denn es ist vor der Hand nicht einzusehen, warum die Analyse des Denkens nicht eine besondere Kenntnis neben anderen hervorbringen sollte - und, wie die Erkenntnis der Mechanismen des Verdauungsapparates, wie uns Hegel wissen läßt, nichts zur Verdauung beitragen und doch interessant zu wissen sind, so trägt eben auch die Logik nichts zum Gelingen der Wissenschaft bei und ist doch ein zusätzliches wissenswertes Gebiet, dem sich der Geist zuwendet, wenn er nichts Nützliches mehr leisten muß, wenn er "Muße" 16) hat. Diese nutzlose Luxuswissenschaft ist eben "der Sonntag des Lebens". 17)

Ohne sich schon an dieser Stelle um das bemerkte Problem zu kümmern, ist zunächst dieses Richtige aus dem Bisherigen festzuhalten: Die Dialektik muß streng und ausschließlich als Erklärung des Denkens, als Erkenntnis der Erkenntnis aufgefaßt werden - und als sonst nichts. Alle Weiterungen auf eine sogenannte "Realdialektik" der Historie, der Produktivkräfte oder von sonst etwas sind zunächst völlig fernzuhalten. Sie werden sich später ergeben - und zwar als Fehler, auch wenn sie sich bei Hegel selber und sogar in den Frühschriften von Marx finden.

Festzuhalten ist dagegen der Anspruch Hegels, mit der 'Dialektik eine Wissenschaft des Denkens zu liefern, die die allgemeinen Bestimmungen des Denkens angibt und sozusagen erläutert, was beim Denken passiert. Die Wissenschaft der Logik hat damit drei Abteilungen, deren Überschriften - modern ausgedrückt - heißen müßten:

1. Die Kategorien, in denen die Wissenschaft die unmittelbar vorfindlichen Objekte auffaßt - 'Seinslogik'.

2. Die Kategorien, in denen die Wissenschaft die Verhältnisse erfaßt, in denen sich diese Objekte präsentieren - 'Wesenslogik' (beide Teile zusammen bilden die 'objektive Logik', weil die Bestimmungen der Objekte betreffend).

3. Die Tätigkeit des Denkens, das seine Objekte bestimmt, über sie urteilt und ihre Eigenart ersch1ießt - Begriffslogik' (dies gilt nur für die Abteilung der Logik des 'subjektiven Begriffs'; was darüber hinausgeht, verläßt den Standpunkt der Analyse des Denkens, so richtig und interessant es im einzelnen auch sein mag).

Nur in diesem Bereich haben die geheimnisvollen und fast nur mißbrauchten Bestimmungen der Negation, des Widerspruchs sowie der Negation der Negation usw. ihr Recht.

Es soll hier keine Interpretation zur Logik gegeben werden 18); aber um einige Andeutungen davon zu geben, was man aus der Logik Hegels lernen kann, wenn man sie rationell liest und sich die große Mühe macht, das Wissenschaftliche vom philosophischen Mißbrauch Hegel zu unterscheiden, sollen hier drei Beispiele besprochen werden, ehe zum Fehler, zum weltanschaulichen Umgang mit dem "Universalschlüssel" der Dialektik übergegangen wird. Gewählt wird ein Beispiel aus der Wesens- und eines aus der Begriffslogik, sowie das allgemeine Beispiel Hegels, die dialektische Methode des Denkens.

a) Das Verhältnis von Kraft und Äußerung

Die 'Kraft' ist in allen Wissenschaften ein "Erklärungsbegriff"; Erklärungsbegriff deshalb, weil er das unmittelbar vorfindliche Objekt nicht einfach bestimmt, sondern als bewirkt, aus etwas Anderem "hervorgegangen" darstellt.

"Die einzelnen Äußerungen einer Kraft treten uns zunächst in unbestimmter Mannigfaltigkeit und in ihrer Vereinzelung als zufällig entgegen; wir reduzieren dann dieses Mannigfaltige auf seine innere Einheit, welche wir als Kraft bezeichnen, und werden uns des scheinbar Zufälligen, indem wir das darin herrschende Gesetz erkennen, als eines Notwendigen bewußt." 19)

Eine Erklärung ist die Reduktion auf die innere Einheit, weil eine Sache dann in ihrer Notwendigkeit gewußt ist, oder weil so das "Warum zu beantworten" ist, "und die Beantwortung dieser Frage ist es überhaupt, welche die gemeinschaftliche Aufgabe der Wissenschaft, sowohl der empirischen als auch der philosophischen, bildet." 20) Ob der Begriff der Kraft diese Antwort auf die "Warum"-Frage zu geben vermag, ist Gegenstand der Analyse; soviel aber steht von vornherein fest, die Beantwortung der Frage nach der Erklärungsleistung ist nicht gleichgültig. Denn außer den Naturwissenschaften, die eine mechanische Kraft, eine magnetische, eine Anziehungskraft und andere kennen, verzichtet so gut wie keine Geisteswissenschaft auf die Benutzung dieses Begriffs - unter verschiedenen Namen:

Die Politologie leitet den Staat aus einer natürlichen Kraft der Menschen zu ihm ab, wenn sie als Erklärung vorträgt, der Mensch sei ein 'zoon politikon', ein "von Natur staatenbildendes Wesen".

Die Psychologie leitet so gut wie jede Lebensäußerung des Menschen aus einer Kraft zu eben dieser ab und weiß im Fall des Streites um einen Aggressionstrieb, im Fall der Liebe um einen Sexualtrieb, um den Mutter-, Zerstörungs- und Todestrieb. Chomsky hat dieses Erklärungsmodell in die Linguistik eingeführt und erklärt die Sprache einfach zu einer Performanz der Kompetenz zu ihr, diese wiederum leitet er aus einer "black box" ab, einer Kraft, die man selber nicht bestimmen könne und deren man deshalb nur über ihre Äußerung habhaft werde. 21) Schließlich hat Kant diesen Begriff auch noch in der Philosophie angewendet, wo er das Erkennen aus den Bedingungen des Erkenntnisvermögens bestimmte. 22) Die Kritik des erklärenden Begriffs der "Kraft" müßte die Schwäche aller dieser Erklärungen aufdecken.

Hegel erklärt zunächst einfach, was der Inhalt des Begriffs 'Kraft' ist: Kraft ist nicht eine Sache für sich, sondern ein Verhältnis; genauer ist sie das bewegende Moment in diesem Verhältnis und zugleich das ganze Verhältnis. Sie schließt ihre Äußerung notwendig ein, denn nur durch diese betätigt und bewährt sie sich als Kraft.

"Die Kraft ist als das Ganze, welches an sich selbst die negative Beziehung auf sich ist, die, sich von sich abzustoßen und sich zu äußern. Aber da diese Reflexion-in-Anderes, der Unterschied der Teile ebensosehr Reflexion-in-sich ist, so ist die Äußerung die Vermittlung, wodurch die Kraft, die in sich zurückkehrt, als Kraft ist. " 23)

Zugleich ist die Kraft "negative Beziehung auf sich", weil sie nur Kraft ist und sein kann, indem sie sich als solche aufgibt, zur Äußerung wird und damit nicht mehr Kraft ist. Die Kraft hat also ihre wahre Existenz nur in ihrer Äußerung, in der sie als Resultat, aber eben gar nicht mehr als das Bewegende vorliegt. Die als Äußerung bestimmte Sache soll durch die Kraft erklärt, in ihrer Notwendigkeit bestimmt werden; die ganze Bestimmtheit der Kraft aber liegt selber wieder nur in der Äußerung. Durch die Äußerung - die Kraft einmal gedanklich als Subjekt genommen - nimmt die Kraft selber die bloß behauptete Differenz zur Äußerung zurück und zeigt die inhaltliche Identität von Kraft und Äußerung.

"Ihre Äußerung ist selbst das Aufheben der Verschiedenheit der beiden Seiten, welche in diesem Verhältnisse vorhanden ist, und das Setzen der Identität, die an sich den Inhalt ausmacht." 24)

Für eine Erklärung der Äußerung also taugt der Begriff der Kraft nicht. Denn wenn auch zum Gesetz die Identität von Ursache und Wirkung gehören - die Ursache muß mit Notwendigkeit immer die Folge einschließen, sonst ist sie keine Ursache - so gehört dazu doch umgekehrt auch die Differenz: wenn das Bewegende und das Bewegte ein und dasselbe sind, dann ist eben nicht eines das Erste und das andere das daraus Bewirkte.

"Man pflegt zu sagen, daß die Natur der Kraft selbst unbekannt sei und nur ihre Äußerung erkannt werde. Einesteils ist die ganze Inha1tsbestimmung der Kraft ebendieselbe als die der Äußerung; die Erklärung einer Erscheinung aus einer Kraft ist deswegen eine leere Tautologie. Was unbekannt bleiben soll, ist also in der Tat nichts als die leere Form der Reflexion-in-sich, wodurch allein die Kraft von der Äußerung unterschieden ist. Diese Form tut zum Inhalte und zum Gesetze, welche nur aus der Erscheinung allein erkannt werden, im geringsten nichts hinzu. Auch wird überall versichert, es solle damit über die Kraft nichts behauptet werden; es ist also nicht abzusehen, warum die Form von Kraft in die Wissenschaften eingeführt worden ist." 25)

Hegel ist mit dieser Widerlegung der behandelten Erklärungsweise aber noch nicht fertig; er nimmt den offenbar mißlungenen Erklärungsversuch auch nach Aufdeckung seiner Haltlosigkeit noch ernst und will das retten, was gemeint war, aber nicht gesagt wurde. Überdies war der oben angeführte Vergleich mit dem Gesetz ein Vorgriff; Hegel führt den Leser erst durch die bestimmtere Kritik der Kraft auf diesen Begriff hin. Er bemerkt in der Behauptung von Unerkennbarkeit der Kraft die Erinnerung an das Richtige, daß es ein Mangel einer Erklärung sei, wenn man von dem Grund einer Sache nichts wisse, und sieht darin auch das Bekenntnis, daß man eine Determination der Äußerung, Notwendigkeit gemeint hatte und die Tautologie nur sagte.

"Andernteils ist aber die Natur der Kraft allerdings ein Unbekanntes, weil sowohl die Notwendigkeit des Zusammenhangs ihres Inhalts in sich selbst als auch desselben, insofern er für sich beschränkt ist und daher seine Bestimmtheit vermittels eines Anderen außer ihm hat, noch mangelt." 26)

Hegel untersucht also die formelle Vorstellung von Grund und Folge, die aber inhaltlich in die Tautologie geraten ist, weiter, um zu zeigen, wie die Kraft die Äußerung gar nicht mit Notwendigkeit determinieren kann: Die Kraft hat nur Wirklichkeit durch ihre Äußerung und in ihr, aber diese hängt von ihr gar nicht ab. Die Kraft bringt die Äußerung gar nicht von sich aus hervor, sie äußert sich nicht immer und notwendig, sondern ist abhängig von Umständen. Zunächst ist die Kraft, die als wesentlich gegen ihre Äußerung vorgestellt wird, unwesentlich vorgestellt, insofern sie "für sich" ist. Dies "zeigt sich zunächst darin, daß eine jede Kraft bedingt ist und zu ihrem Bestehen eines Anderen bedarf, als sie selbst ist. So hat z.B. die magnetische Kraft bekanntlich ihren Träger vornehmlich am Eisen, dessen sonstige Eigenschaften ... von dieser Beziehung zum Magnetismus unabhängig sind." 27)

"Es liegt in ihm (dem Träger der Kraft; d.V.) nach dieser Bestimmung kein Grund, eine Kraft zu haben; die Kraft hingegen als die Seite des Gesetztseins hat wesentlich das Ding zu seiner Voraussetzung. Wenn daher gefragt wird, wie das Ding oder die Materie dazu komme, eine Kraft zu haben, so erscheint diese als äußerlich damit verbunden und dem Dinge durch eine fremde Gewalt eingedrückt." 28)

Die Erklärung einer Sache durch eine Kraft, die dann aber nur durch ihre Äußerung bestimmt ist, kann also gar nicht erklären, warum und wie denn nun z.B. der Mensch den Trieb zur Aggression an sich hat. Er erscheint als "blinder Zufall", ebenso wie der Fall seiner Äußerung nichts mit dem Trieb selber zu tun hat:

"Die Endlichkeit der Kraft zeigt sich ferner darin, daß dieselbe, um sich zu äußern, der Sollizitation bedarf. Dasjenige, wodurch die Kraft sollizitiert wird, ist selbst wieder Äußerung einer Kraft, welche, um sich zu äußern, gleichfalls sollizitiert werden muß. Wir erhalten auf diese Weise wieder den unendlichen Progreß." 29)

Hegel hält nun das Resultat seiner Kritik des Kraft-Begriffs und seiner Weiterführung des wissenschaftlichen Denkens fest:. Zunächst ist die Vorstellung einer inneren und die Äußerung bewirkende Kraft aufzugeben, - denn da sie keinen anderen Inhalt haben kann als die Äußerung, ist sie auch nichts anderes als sie. Die Idee des ganz Inneren, das von der Äußerung verschieden ist und sich doch nicht von ihr unterschieden geltend macht, ist der Fehler:

"Ihre Wahrheit (von Kraft und Äußerung, d.V.) ist darum das Verhältnis, dessen beide Seiten nur als Inneres und Äußeres unterschieden sind." 30)

"Das Äußere ist daher fürs erste derse1be Inha1t als das Innere. Was innerlich ist, ist auch äußerlich vorhanden; umgekehrt: die Erscheinung zeigt nichts, was nicht im Wesen ist, und im Wesen ist nichts, was nicht manifestiert ist." 31)

Im Weitern ist dann der Gedanke des Grundes und der Notwendigkeit als ein Verhältnis zwischen Erscheinenden, zwischen äußeren Dingen aufzufassen (nicht zwischen innen und außen), und zwar nach der Bestimmtheit der beiden selbständigen Seiten, die im Verhältnis der Notwendigkeit zugleich aber notwendig verbunden sind.

Die Frage, was man aus derartigen logischen Analysen der Begriffe der Wissenschaft lernen kann, ist leicht beantwortet: man entdeckt Fehler; nicht einzelne, zufällige, sondern solche, die allgemein gemacht werden und deshalb schon in den Begriffsapparat der Wissenschaften eingegangen sind. Damit ist aber - und das ist wichtig in anbetracht des Luxuscharakter der Logik - kein Argument für die Notwendigkeit der Logik gefallen. Gewiß ließe sich der Fehler einer Erklärung nach dem besprochenen Muster in seiner "Anwendung" seitens der Psychologie oder der Linguistik entdecken. Notwendigerweise kommen alle Momente der falschen Erklärung auch bei der "Anwendung" wieder vor; sie sind da weder schwerer noch leichter zu kritisieren als bei der abstrakten Betrachtung der Begriffe ohne den besonderen einzelwissenschaftlichen Inhalt. Wer sich allerdings einmal den allgemeinen Begriff dieses Fehlers vergegenwärtigt hat, ist in dem Vorteil, ihn an vielerlei Beispielen nur noch wiederentdecken zu müssen.

b) Das Urteil

Vielleicht zurecht könnte Hegel der Vorwurf gemacht werden, die rationellen Ergebnisse seiner Logik seien Trivialitäten - und bestimmt wäre Hegel der erste, der diesen Vorwurf akzeptieren würde. Tatsächlich wird von ihm ja nur bewußt gemacht, was jeder denkende Mensch ohne viel Nachdenken beim Denken tut. Allerdings scheint in der modernen Gesellschaft, der ersten, die die Wissenschaft universell durchsetzte und auf ihrer Anwendung beruht, ein unwiderstehlicher Drang zu herrschen, sich über sein Tun zu täuschen; deshalb hat der Versuch zu sagen, was das Denken ist und was das Denken tut, noch immer etwas keineswegs Selbstverständliches an sich.

Mehr noch als von dem oben behandelten Beispiel für die Erklärungsbegriffe könnte der Vorwurf der Trivialität von der Darstellung des Tuns des Denkens in der 'Logik des subjektiven Begriffs' gelten. Urteile werden laufend gefällt, und keiner meint, er wisse nicht, was er damit tut. Mehr noch - ein gesondertes Wissen von diesem Tun wird jedenfalls nicht beim Urteilen helfen und auch nicht dafür sorgen, daß in Zukunft nur noch richtige Urteile gefällt werden.

Die Darlegung dessen, was ein Urteil ist, taugt nur zur Kritik eines ebenso luxuriösen, jedoch falschen Selbstbewußtsein dieses Tuns. Diese Klärung kann zur Bekämpfung des bereits charakterisierten instrumentellen Denkens höchstens insofern beitragen, als es das zu ihm gehörige Selbstbewußtsein der Theorie, die Methodologie der instrumentellen Wissenschaft aus den Angeln hebt. Als ein solches, den Umweg wählendes Verfahren ist es gewiß wenig zweckmäßig und um so mehr ein Luxus des Geistes. Hier wurde das Urteil als Beispiel auch nicht wie das erste gewählt, um den Nutzen der Kritik von falschen Erklärungsbegriffen vorzuführen, sondern um einmal am besonderen Fall durchzuspielen, was das 'ominöse' Dialektische bei Hegel ist.

"Das Urteil wird gewöhnlich in subjektivem Sinn genommen, als eine Operation und Form, die bloß im selbstbewußten Denken vorkomme." 32)

Selbstverständlich kommt das Urteilen nur im Denken und nicht im Tierreich vor, schließlich war ja auch das Denken der Gegenstand der 'Logik'. Das Richtige, was Hegel mit 'bloß subjektiver' Auffassung des Urteils meint, präzisiert er im folgenden (im nächsten Zitat): Es besteht darin, daß der Versuch, das Urteil als Tätigkeit des erkennenden Subjekts zu bestimmen, gerade darüber hinwegsehen läßt, was das Subjekt da tut. So wird das Urteil nur als Resultat einer Tätigkeit bestimmt, durchs Verhältnis zum Urteilenden, nicht an sich selbst. Mit dieser Betonung der Tätigkeit, ohne sich auf ihren Inhalt weiter einzulassen, bestimmt man das Urteil dem Inha1t nach als etwas "bloß" subjektives, nicht in der Sache begründetes, gerade weil man sich auf seinen Inhalt nicht eingelassen hat. Nichtbestimmung und Auffassung des Urteils als etwas bloß Subjektiven gehören zusammen.

"Diese äußerliche Auffassung zeigt sich dann noch bestimmter, wenn von dem Urteil gesagt wird, daß dasselbe dadurch zustande komme, daß einem Subjekt ein Prädikat beigelegt werde. Das Subjekt gilt hierbei als draußen für sich bestehend und das Prädikat als in unserem Kopf befindlich. Dieser Vorstellung widerspricht indes schon die Kopula 'ist'. Wenn wir sagen: 'Die Rose ist rot', ... so ist damit ausgesprochen, daß wir es nicht sind, die es der Rose äußerlich antun, rot zu sein, sondern daß dies die eigenen Bestimmungen dieser Gegenstände sind." 32a)

Das Urteil wird so aber nicht nur als bloß subjektiv genommen; die Unbestimmtheit der Charakterisierung verhindert auch, daß abgesehen wird, was sich im Urteil tut - damit aber wird eben das Argument für die Objektivität des Urteils unterschlagen.

"Nach dieser subjektiven Betrachtung werden daher Subjekt und Prädikat, jedes als außer dem anderen für sich fertig, betrachtet; das Subjekt als ein Gegenstand, der auch wäre, wenn er dieses Prädikat nicht hätte; das Prädikat als eine allgemeine Bestimmung, die auch wäre, wenn sie diesem Subjekt nicht zukäme. Mit dem Urteilen ist hernach die Reflexion verbunden, ob dieses oder jenes Prädikat, das im Kopfe ist, dem Gegenstande, der draußen für sich ist, beigelegt werden könne und solle; das Urteilen selbst besteht darin, daß erst durch dasselbe ein Prädikat mit dem Subjekte verbunden wird, so daß, wenn diese Verbindung nicht stattfände, Subjekt und Prädikat, jedes für sich doch bliebe, was es ist, jenes ein existierender Gegenstand, dieses eine Vorstellung im Kopfe."

"Vornehmlich ist in jener Erklärung das Wesentliche des Urteils, nämlich der Unterschied seiner Bestimmungen übergangen." 32b)

Dieser Unterschied besteht nämlich darin, daß das Urteil selber die beiden Bestimmungen des Subjekts und des Prädikats weder als jedes für sich bestimmt und außer dem Urteil Festes zeigt, noch die beiden Pole des Urteils als gleichberechtigte gelten läßt. Hatte schon der Ausgangspunkt des Urteils das Subjekt als den wirklichen Gegenstand, "das Bestimmte" und das Prädikat als bloßen Gedanken, "das Allgemeine, das Wesen oder Begriff ausdrückt" 32c) unterstellt, so zwingt das Urteil selber, indem ja das Subjekt durch das Prädikat bestimmt wird, zur Umkehrung, zum geraden Austausch dieser Bestimmungen:

"So ist das Subjekt als solches zunächst nur eine Art von Name; denn was es ist, drückt erst das Prädikat aus, welches das Sein im Sinne des Begriffs enthält."

"Das Subjekt ohne Prädikat ist, was in der Erscheinung das Ding ohne Eigenschaften, das Ding-an-sich ist, ein leerer unbestimmter Grund; es ist so der Begriff in sich selbst, welcher erst am Prädikate eine Unterscheidung und Bestimmtheit erhält; dieses macht hiemit die Seite des Daseins des Subjekts aus." 34)

So erscheint in der Polarität des Urteils das Subjekt als der Bestimmung bedürftiges, als die Abstraktion, als bloßes Gedankending; das Prädikat aber, welches bestimmt, macht Objektivität und Wirklichkeit des Subjekts aus.

"Das Subjekt hat erst im Prädikate seine ausdrückliche Bestimmtheit und Inhalt; für sich ist es deswegen eine bloße Vorstellung oder ein leerer Name ... was das Subjekt ist, ist erst im Prädikate gesagt." 35)

Somit weist Hegel nach, daß die beiden Pole des Urteils keineswegs vor und außerhalb des Urteils fertig und für sich bestehend sind, sondern daß im Urteil die Wahrheit beider Bestimmungen erst hergestellt wird:

"Es (das Urteil; d.V.) enthält erstlich also die beiden Selbständigen, welche Subjekt und Prädikat heißen. Was jedes ist, kann eigentlich noch nicht gesagt werden; sie sind noch unbestimmt, denn erst durch das Urteil sollen sie bestimmt werden." 36)

Vor dem Urteil sind beide Pole etwas "bloß Subjektives", das Subjekt leere, abstrakte, bloß gemeinte Wirklichkeit; das Prädikat aber eine allgemeine, freilich unwirkliche Bestimmtheit.

"Es ist für einen verwundernswürdigen Mangel an Beobachtung anzusehen, das Faktum in den Logiken nicht angegeben zu finden, daß in jedem Urteil solcher Satz ausgesprochen wird: 'das Einzelne ist das A11gemeine'." 37)

Erst durch das Urteil wird das Einzelne für das Denken etwas Bestimmtes und die allgemeinen Bestimmungen zu etwas Objektivem und Gültigem erklärt:

"alle Dinge sind ein Urteil, - d.h. sie sind Einzelne, welche eine Allgemeinheit oder innere Natur in sich sind, oder ein Allgemeines, das vereinzelt ist." 38)

Diese Stelle aus der 'kleinen Logik' setzt die obige (siehe FN 19) problematische Stelle des § 167 fort. Auch hier soll noch nicht auf den Fehler Hegels eingegangen, sondern nur seine Überlegung dahingehend referiert werden, daß der rationelle Gehalt klargestellt wird. Nicht die Dinge sind Urteile, sondern das Denken der Dinge besteht im Urteilen: im Denken sind alle Dinge Urteile, denn anders kommt das Denken nicht über den leeren Namen, den schon die Sprache ohne besondere Wissenschaft weiß, hinaus. Der Name aber ist ja die bloße Versicherung, die subjektive Gewißheit, das, was er bezeichnet, sei schon irgend etwas Bestimmtes, Objektives und damit mit sich Identisches. Im Urteil wird aber eben diese Gewißheit widerrufen, die Identität mit sich, die im Gedanken des Gegenstands liegt, wird "negiert". Das Subjekt im Urteil ist das "negativ sich auf sich Beziehende". 39) Es hat als leerer Name das gar nicht zum Inhalt, was es ist; der Name ist noch gar kein Begriff; was er meint, kann er allein gar nicht sagen. Die Bestimmtheit einer Sache hat das Denken also einzig darin, daß es diese Sache ungleich mit sich selber setzt und gleich mit etwas, was sie nicht ist, mit dem Prädikat. Erst durch die Identität mit Anderem wird sie für den Gedanken das Für-sich-seiende und Bestimmte, das sie ist. Hegel kritisiert also zurecht die sogenannte statische Auffassung der Begriffe, denn sie sind, was sie sind - die Sache in Gedanken -nur durch ihre Verhältnisse, in denen sie sich mit sich nicht-identisch setzen, um ihre Identität zu bestimmen. (Auch hier muß vorläufig über die Hegelsche Redeweise hinweggesehen werden, die nicht das Denken, sondern seine Begriffe Subjekte der Tätigkeit werden läßt.)

"Nun ist aber der Begriff als solcher nicht, wie der Verstand meint, prozeßlos in sich verharrend, sondern vielmehr, als unendliche Form, schlechthin tätig, gleichsam das punctum sa1iens aller Lebendigkeit und somit sich von sich selbst unterscheidend." 40)

c) Die dialektische Methode

Die dialektische Methode, die so viel falsches Interesse gefunden und sich ebenso viele falsche Feinde erworben hat, kann nach dem bisher Besprochenen in nichts anderem bestehen als in der nachträglichen und zur Analyse der einzelnen Gedanken und Tätigkeiten des Denkens zusätzlich hinzutretenden allgemeinen Bestimmung dieses Ganges. Es ist wichtig zu verstehen, daß mit der Bestimmung des allgemeinsten Fortschreitens aller möglichen besonderen Gedanken so gut wie nichts mitgeteilt wird - schon gar keine Anleitung, was man in der Wissenschaft zu tun habe - ja daß sich die bei Hegel so leidenschaftlich diskutierte Charakterisierung des "Dialektischen" wahrhaftig der Tautologie nähert:

"Das Einzige, ein den wissenschaftlichen Fortgang zu gewinnen, - und ein dessen ganz einfache Einsicht sich wesentlich zu bemühen ist, - ist die Erkenntnis des logischen Satzes, daß das Negative ebensosehr positiv ist, oder daß das sich Widersprechende sich nicht in Null, in das abstrakte Nichts auflöst, sondern wesentlich nur in die Negation eines besonderen Inhalts, oder daß eine solche Negation nicht alle Negation, sondern die Negation der bestimmten Sache, die sich auflöst, somit bestimmte Negation ist, daß also im Resultate wesentlich das enthalten ist, woraus es resultiert; - was eigentlich eine Tautologie ist, denn sonst wäre es ein Unmittelbares, nicht ein Resultat." 41)

Der wissenschaftliche Fortgang bewirkt, so wird richtig und trivial festgestellt, daß man am Ende der Wissenschaft mehr von der Sache, die in Rede stand, weiß als am Anfang; daß das Resultat der Wissenschaft zwar immer noch das unmittelbare Objekt der Anschauung ist, von dem die Untersuchung ausging, aber nicht mehr als unmittelbares, sondern als Resultat des Bestimmens. Grund der Wissenschaft also war der Mangel an Bestimmtheit, der im Namen für das unmittelbare, bloß bezeichnete Objekt der Anschauung liegt. Dieser Mangel für sich festgehalten ist die "Negation" des eben nur scheinbar für sich bestimmten Namens. Sie gibt zugleich das Argument für die präzisere Bestimmung ab.

"Indem das Resultierende, die Negation, bestimmte Negation ist, hat sie einen Inhalt. Sie ist ein neuer Begriff, aber der höhere reichere Begriff als der vorhergehende." 42)

Die Negation ist also keineswegs als eine kritische Tätigkeit gegen das Objekt aufzufassen - oder höchstens als kritisch gegen den Namen, der erst durch die Gleichsetzung mit dem von ihm unterschiedenen Prädikat zum Begriff erhoben wird. Die Negation, von der hier die Rede ist, kann man also - je nach Einstellung - nicht etwa treiben oder vielleicht auch lassen, wenn man mehr dem Positiven zuneigt, sie ist die Tätigkeit des Denkens und die andere Seite des Bestimmens.

Es gibt nun aber auch noch das Moment, daß die "absolute Methode des Denkens", die man nicht bewußt zu wählen braucht, weil man gar nicht anders denken kann, selbstbewußtes Moment des Theorietreibens wird: Als eine Methode der Darstellung wissenschaftlicher Einsichten bestimmt sich mit ihr das wissenschaftliche System. Es besteht darin, daß hier die Urteile nicht einzeln als objektive gewußt werden, sondern alle Urteile über eine Sache in ihrer Notwendigkeit, damit in ihrer Beziehung zu dem Ganzen, dem sie angehören, dargestellt werden. Das vollendete Wissen, sagt Hegel, sei System.

"Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. ... Die innere Notwendigkeit, daß das Wissen Wissenschaft sei, liegt in seiner Natur, und die befriedigende Erklärung hierüber ist allein die Darstellung der Philosophie selbst." 43)

Die Besonderheit des wissenschaftlichen Systems besteht darin, daß es nicht ein Agglomerat von richtigen Urteilen ist, sondern diese untereinander mit notwendigen Argumenten verbunden sind, d.h., daß auf jeder Stufe der Argumentation der Mangel der so erreichten Bestimmung der Sache explizit gemacht wird und so zu einer weiteren reicheren Bestimmung überzugehen Anlaß gegeben ist.

"Die Methode, wie in der Wissenschaft de Begriff sich aus sich selbst entwickelt und nur ein immanentes Fortschreiten ist -" "heiße ich Dialektik." 44)

Hier stellt sich dann das bekannte Problem des Anfangs, da erst herausgefunden sein will, welche Bestimmung die allgemeinste und damit einfachste ist, aus der alle weiteren abgeleitet werden. 45) Im vollendeten System sind dann alle Momente einer Sache, z.B. alle Einrichtungen, Maßnahmen und Gesetze des Staates, schon durch ihre Stellung im System in ihrem Verhältnis zu ihrem allgemeinen Zweck dargestellt.

Wichtig ist hier nicht die Entfaltung der Eigenschaften des Systems, sondern noch einmal eine Klarstellung dessen, was damit geleistet ist und was nicht; vor allem aber, ob dies als Methode im üblichen Sinn aufzufassen ist oder nicht. Der Umstand, daß die systematische Darstellung eine Trennung von Forschung und Darstellung 46) nötig macht, hat dazu geführt, daß mit diesen beiden Seiten, die bei Hegel Analyse und Synthese heißen, ein besonderer Inhalt und Sinn verbunden wurde, so als ob die Analyse ein kritisches, die Synthese ein affirmatives Tun des Denkens wäre. Dabei muß aber der Inhalt der Systembestimmung vergessen worden sein. Im Resultat der Analyse ist der Begriff einer Sache doch herausgefunden, ihm gegenüber aber stehen noch die vielen, chaotischen Einzelurteile über dieselbe Sache. (Ob diese nun wahr sind oder nicht, tut nichts zur Sache.) Werden sie nun in eine systematische Ordnung gebracht, und es sieht so aus, "als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun", dann mag diese Ordnung schwierig zu bewerkstelligen sein, wenn das Material falsche Urteile über die Sache sind, richtiger oder falscher werden sie so nicht. Die systematische Darstellung ist also die adäquate Präsentation des vollständigen Wissens über eine Sache, Kriterium der Wahrheit ist sie keinesfalls. Der Vorzug dieser Darstellung löst sich schlicht auf in a) größtmögliche Einfachheit 47) - denn die einfachste Art, eine vielfältig bestimmte Sache zu entwickeln, ist eben die logische - und größte Sachlichkeit 48) - denn in der Systematik "spiegelt sich das Leben des Stoffs ideell wider".

2. Der Fehler Hegels

Hegel weiß, wie erwähnt, alle seine Einsichten in die Natur des Denkens als Luxus gegenüber den nützlichen Wissenschaften, als den Sonntag des Intellekts, an dem er frei von Aufgaben und Pflichten es sich leisten kann, sich mit sich zu befassen. Trotzdem aber läßt er das Wissen des Denkens von sich nicht als ein gegenüber den nützlichen Kenntnissen der geistigen und natürlichen Welt weniger wichtiges, oder wenigstens als eben ein anderes Wissen neben anderem gelten, sondern behauptet es als das höchste Wissen - das "Wissen von Wissen" als das Wissen überhaupt, als alles Wissen. 49) Während es im Unterschied zu

den Wochentagen am Sonntag nicht darauf ankommt, was einer tut, bestimmt Hegel das luxuriöse Wissen des Denkens von sich als Selbstzweck - soweit richtig - und als Ziel und Zweck des nützlichen Wissens:

"So ist die Philosophie Bewußtsein - Zweck für sich selbst - und aller Zweck für sie."

"Die Wahrheit ist um ihrer selbst willen, und alle weitere Wirklichkeit ist eine Verkörperung, äußerliche Existenz derselben." 50)

Die ganze "weitere" Wirklichkeit erscheint Hegel als Verkörperung des Wissens; das Wissen als alle Realität. Diese sogenannte Vergeistigung der Wirklichkeit, die Erklärung der ganzen Welt zur Äußerung der Subjektivität "des" Begriffs, ist bekannt und kann wörtlich in der Einleitung zur 'Logik' nachgelesen werden:

"Die Logik ist sonach als das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen ausdrücken, daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist." 51)

Dieses Resultat aufzudecken und zu mißbilligen, ist wirklich nichts besonderes - in unserer Zeit wird das Resultat Hegels zurecht allgemein für abwegig gehalten. Von größerem Interesse dürfte aber die Frage sein, wie Hegel, von dem man doch einiges lernen kann, auf diese Eigentümlichkeit kommt, denn für Hegels Fehler fehlt in der modernen Wissenschaft beinahe jedes Verständnis, weil in ihr die Grundlage für diesen Fehler völlig abhanden gekommen ist.

Hegels Anliegen bei der Untersuchung des Denkens - und zwar sowohl in der positiven Darstellung der Logik wie auch gegen Kant - bestand stets darin zu zeigen, daß die erkenntnistheoretische Konstruktion einer inhaltlichen Differenz zwischen den Bestimmungen der Objekte und denen des Denkens in sich zusammenfällt, bzw. daß das Denken die "bloße" Subjektivität seiner Begriffe - siehe das Urteil - selber überwindet und zur Objektivität emporhebt. Die Gedanken sind objektiv - ist sein Resultat.

Wenn aber die Gedanken dem Inhalt nach objektiv sind, dann gibt es Allgemeinheit, Gesetz, Begriff ja wirklich, dann bestimmen sie den Gegenstand - dann, so schließt Hegel, kann auch von einer formellen Differenz nicht die Rede sein. Er meint, man könne sich dazu

"auf die eigenen Vorstellungen der gewöhnlichen Logik berufen; es wird nämlich angenommen, daß z.B. Definitionen nicht Bestimmungen enthalten, die nur ins erkennende Subjekt fallen, sondern die Bestimmungen des Gegenstands, welche seine wesentlichste Natur ausmachen. Oder wenn von gegebenen Bestimmungen auf andere geschlossen wird, wird angenommen, daß das Erschlossene nicht ein dem Gegenstand Äußerliches und Fremdes sei, sondern daß es ihm vielmehr selbst zukomme, daß diesem Denken das Sein entspreche. - Es liegt überhaupt bei dem Gebrauche der Formen des Begriffs, Urteils, Schlusses, Definition, Division usf. zugrunde, daß sie nicht bloß Formen des selbstbewußten Denkens sind, sondern auch des gegenständlichen Verstandes." (Hervorh. vom Verf.) 52)

Für Hegel ist dieser Übergang so selbstverständlich, das er gar kein Argument dafür anführt: wo er zurecht darauf verweisen kann, daß das "Denken dem Sein entspreche", glaubt er sich berechtigt zu behaupten, daß darum das Sein ein Denken sei. Weil die Begriffe objektiv sind, hält er die Objektivität für einen Begriff; während der Verstand die Welt begreift, sieht Hegel die Welt als einen "gegenständlichen Verstand".

Der Fehler dieses Übergangs liegt auf der Hand, Marx hat ihn schon sehr treffend kritisiert: 53) Hegel nimmt die Weise, wie der Verstand sich einzig die Welt aneignen kann, nämlich durch die urteilende und schließende gedankliche Reproduktion des Konkreten, als die - gedanklich nachvollzogene - Konstitution des Konkreten selbst. In dieser Gleichsetzung ist Hegel selbst noch im scholastischen Nominalismus-Realismusstreit befangen: Er hatte gegen Kant emphatisch auf der Objektivität der Wissenschaft beharrt und verlangt, Philosophie habe endlich wissenschaftlich zu werden. Kant hatte seinerseits die Objektivität des Denkens lediglich mit dem Argument bestritten, daß wir es sind, die uns Gedanken machen, unsere Bestimmungen also auf schon vor und unabhängig von den Gedanken existierende Gegenstände und damit von außen angewendet werden. Hegel wandte dagegen ein, daß Kant die Differenz des Gedankeninhalts von den Dingen gar nicht wisse und nicht wissen könne, kritisierte also die Skepsis endgültig - und geht dann doch noch dazu über, nicht an den Gedanken (das macht er in der Logik), sondern an den Objekten zu erklären, warum diese den Gedanken, die sie doch wissen, überhaupt zugänglich seien. Sie können nach Hegel nur deshalb gedacht werden, weil sie schon von sich aus verwirklichte Gedanken sind. Hegel bleibt also mit all seinen Einsichten in die Natur des Denkens innerhalb des metaphysischen Streits, der die Gedanken entweder als inhaltlich bloß subjektiv oder als letzte metaphysische Weltursache gelten läßt.

Verständlich wird Hegels Fehler - ähnlich wie der Kants - daraus, daß er nicht einfach mit der Praxis des wissenschaftlichen Denkens, sondern mit der Logik, dem Beweis seiner Objektivität befaßt war, um - nicht mehr, wie Kant, die Möglichkeit, sondern - die Notwendigkeit der Wissenschaft zu beweisen. Wer, um einmal die aus der Tradition Hegels stammende Metapher zu gebrauchen, die 'Logik des Kapitals' studiert, der kennt hinterher das Kapital, nicht die Logik; der weiß dann aber auch, daß in dieser Produktionsweise der Profit regiert, nicht der Begriff. Wer aber dieses wie alles andere Wissen logisch untersucht, der weiß, daß sein Wissen gilt und daß die Logik das Gesetz des Wissens ist. Und wenn er die Leistung des Denkens feiern will, die "Macht des Begriffs" verehrt und die Identität von Begriff und Sache wörtlich als eine vom Geist erzeugte versteht, so "erschließt" er die seinem Denken vorausgesetzte Objektivität als Werk der Idee - so daß für ihn die Logik die Welt der Erscheinungen "regiert". 54)

Mit diesem Fehler hat Hegel seiner philosophischen Wissenschaft ein neues Erkenntnisziel gesetzt. Sie soll nicht mehr einfach die Sache erkennen, sondern immerzu sich in der Sache. Hegel sieht zwischen diesen beiden Formulierungen freilich keinen Unterschied.

"Die Methode ist deswegen als die ohne Einschränkung allgemeine, innerliche und äußerliche Weise und als die schlechthin unendliche Kraft anzuerkennen, welcher kein Objekt, insofern es sich als ein äußerliches, der Vernunft fernes und von ihr unabhängiges präsentiert, Widerstand leisten, gegen sie von besonderer Natur sein und von ihr nicht durchdrungen werden könnte." "Sie ist darum die höchste Kraft oder vielmehr die einzige und absolute Kraft der Vernunft nicht nur, sondern auch ihr höchster und einziger Trieb, durch sich selbst in allem sich selbst zu finden und zu erkennen." 55)

Die erkennende Vernunft entdeckt immerzu - und zwar unabhängig von der Eigenart des Objekts - sich, einzig durch die Erkenntnis; denn alles, was erkannt wird, hat eben in seinem Erkanntwerden seine Vernünftigkeit, d.h. seine Geist-Gleichheit unter Beweis gestellt. Entgegen Hegels Meinung besteht dagegen nicht nur in der Bewertung der Vernünftigkeit des Objekts, sondern auch im Erkenntnisziel eine erhebliche Differenz zwischen der Erkenntnis der Sache und der Wiederfindung der Vernunft in der Sache. Als Beispiel sei hier die Weise erwähnt, wie Hegel die klassische politische Ökonomie (Smith, Ricardo und auch den nicht dazugehörigen Say) kommentiert:

"Ihre Entwicklung zeigt das Interessante, wie der Gedanke aus der unendlichen Menge von Einzelheiten, die zunächst vor ihm liegen, die einfachen Prinzipien der Sache, den in ihr wirksamen und sie regierenden Verstand herausfindet." 56)

Im mündlichen Zusatz spricht Hegel noch deutlicher aus, daß ihm das ökonomische Gesetz nicht weiter wichtig ist, sofern nur ein Gesetz gefunden wird, das dann der Verstand des Ganzen ist.

"Aber dieses Wimmeln von Willkür erzeugt aus sich allgemeine Bestimmungen, und dieses anscheinend Zerstreute und Gedankenlose wird von einer Notwendigkeit gehalten, die von selbst eintritt. Dies Notwendige hier aufzufinden, ist Gegenstand der Staatsökonomie, einer Wissenschaft, die dem Gedanken Ehre macht, weil sie zu einer Masse von Zufälligkeiten die Gesetze findet." 57)

Hegel ist mit einer Sache schon fertig, wenn gewährleistet ist, daß irgendein Gesetz gefunden wird. Zugleich ist damit auch die Sache mit Vernunft begabt, denn es regiert Sie ein Gesetz.

Das neue Erkenntnisziel, durch Abstraktion vom Inhalt die Logik als das Wesen aller Dinge zu denken und sich durch Abstraktion von ihnen in ihnen wiederfinden zu lassen, 58) genügt Hegel allerdings keineswegs. Er hält im Fehler noch an der richtigen Einsicht fest, daß das Wesen der Wirklichkeit, das er durch Abstraktion vom Inhalt des Wissens gewonnen hatte, darin mangelhaft ist, daß es eben bloß das Wesen und nicht seine Wirklichkeit ist. Auf Basis seiner Abstraktion bemerkt er die Abstraktion als Problem: die Logik, die von allem Inhalt befreit bloße Form ist, muß doch Logik von etwas sein; Hegels Logik ist, mit seinen Worten, Gott vor der Erschaffung der Welt. 59)

Die Wissenschaft muß also nicht durch Reduktion, sondern durch Konstruktion die Wirklichkeit aus der Logik deduzieren; ihr Beweis besteht in der Darstellung aller natürlichen und geistigen Dinge als "Selbstvergegenständlichungen der Logik" 60) Daher braucht die Hegelsche Philosophie die Enzyklopädie: erst das vo11ständige System ist der Realitätsbeweis der Logik die sich als Demiurg in alle Welt entäußert und durch die Erkenntnis diese ihre Äußerlichkeit und Gegenständlichkeit zurücknimmt. 61)

"Nun ist aber in der Tat das Objekt an sich der Begriff, und indem derselbe, als Zweck, darin realisiert wird, so ist dies nur die Manifestation seines eigenen Innern. Die Objektivität ist so gleichsam nur die Hülle, unter welcher der Begriff verborgen liegt ... Die Vollführung des unendlichen Zwecks ist so nur, die Täuschung aufzuheben, als ob er noch nicht vollführt sei. Das Gute, das absolut Gute, vollbringt sich ewig in der Welt, und das Resultat ist, daß es schon an sich vollbracht ist und nicht erst auf uns zu warten braucht. Diese Täuschung ist es in der wir leben ... Die Idee in ihrem Prozeß macht sich selbst jene Täuschung, setzt ein Anderes sich gegenüber, und ihr Tun besteht darin, diese Täuschung aufzuheben. Nur aus diesem Irrtum geht die Wahrheit hervor." 62)

Aus dem Realitätsbeweis der Logik ergeben sich für die wissenschaftliche Analyse der geistigen und natürlichen Gegenstände, die aus den Bestimmungen der Logik deduziert werden, folgende Fehler und Probleme im einzelnen:

a) Die Erklärung wirklicher Gegenstände besteht in ihrer Subsumtion unter die logische Kategorie, ebenso werden die Übergänge nach dem Muster der Logik, nicht nach der "Logik der Sache" gewonnen. 63) Der Sache nach richtige Übergänge werden im Nachhinein noch einmal ins Logische übersetzt und so auf das hin interpretiert, was sie leisten sollen.

b) Ein besonderer Fall dieser Weise der Erklärung besteht darin, daß Gegenstände als ihr Prädikat logische Kategorien erhalten: "Alle Dinge sind ein Urteil" oder "Die Strafe ist Negation". 64)

c) Das wissenschaftliche System bekommt einen anderen Stellenwert. War es oben bestimmt als die adäquate Weise, den begriffenen Gegenstand darzustellen, nicht aber Kriterium der Wahrheit, so wird es unter der Anforderung, den Realitätsbeweis der Logik zu liefern, zum Kriterium schlechthin. Nicht, was wie zusammenhängt, ist wichtig, sondern daß alles darunterpaßt. Denn jede Feder, wie der nur dadurch berühmt gewordene Wilhelm Traugott Krug spitzfindig bemerkte, die nicht unter die Logik paßt, d.h. nicht aus ihr deduziert werden kann, ist ein Einwand gegen die Verwirklichung der Logik in "ihrem Anderen". 65)

d) Diese Systemnot schlägt auch auf die Logik, das "eigentliche" Subjekt des Systems zurück. Sosehr die Erklärungen der logischen Kategorien immanent stimmen, sosehr sind andererseits die Übergänge zwischen den Bestimmungen der Seins- und Wesenslogik zur Begriffslogik sowie die Übergänge innerhalb dieser fragwürdig. Z.B. ist der Gedanke aus der Seinslogik, daß jede Qualität eine quantitative Bestimmung einschließt, daß es eine Qualität ohne Quantität nicht geben kann, so einfach wie notwendig; ebenso die besprochene Notwendigkeit der Erklärungsweise der 'Kraft', sich zum Begriff der Kausalität zu entwickeln. Warum aber das Gesetz zum Zweck und die Teleologie zum Erkennen übergehen müssen, ist dunkel. In der Natur herrschen Gesetze, aber keine Zwecke; nur vom Standpunkt der Idee, also vom Schluß der Logik her erscheint ein bloßes Gesetz als eine Notwendigkeit geringerer Dignität als der Zweck. Ebenso fehlt jeder Grund, vom praktisch verwirklichten Zweck zum Erkennen überzugehen. Freilich ist der verwirklichte Zweck "nur äußerlich am Objekt" 66) aber mehr wollte er ja auch gar nicht: wenn ein Mittel nützlich, wenn der bekannte philosophische Pudding gegessen ist, dann ist der Zweck mit sich "zusammengeschlossen"; nur die von außen hinzutretende Forderung, der Zweck habe aber nicht nur Sache des Subjekts, sondern auch innerstes Moment des Objekts zu sein, - also die Forderung der Idee - macht den Fortgang.

e) Der angestrebte Realitätsbeweis der Logik ist schließlich auch der Grund dafür, daß Hegel affirmativ ist. 67) Sein Beweis der Objektivität des Denkens, weil er nicht nur kritisch Kant überwand, sondern positiv die Übereinstimmung von Denken und Sache aus der Natur der Dinge begründen wollte, hängt eben von der Umkehrung des Beweissatzes ab: Nur wenn die Objektivität Gedanke ist, ist der Gedanke objektiv. Erst auf Basis dieser notwendigen Affirmation 68) erhalten die einzelnen Schritte des Denkers Attribute, die auf die Beurteilung der Wirklichkeit gehen: Der mit sich selbst identische und ruhige Geist der Logik ist im empirischen Bewußtsein im Zustand der Entzweiung; er ist als Subjekt darin negiert, daß es außer ihm noch etwas Anderes gibt. Indem er nun sich in sein Anderes versenkt, hebt er die Gegenständlichkeit des ihn negierenden Objekts noch einmal auf und affirmiert sich so als das Subjekt von allem Seienden. 69) Nur, weil Erkenntnis und wissenschaftliches System bei Hegel der Beweis der Logik sind, erhalten die Charakterisierungen des Denkens (Identität, Negation, Affirmation) eine Bedeutung, die nicht das Denken selber, sondern die Einstellung des Denkers zur Wirklichkeit betrifft. In diesem Sinn kritisiert Hegel den "abstrakten Verstand" und die "einfache Negation" als praktische Haltungen des Denkenden, sich kritisch gegenüber der Realität und diese von sich fern zu halten. Die Argumente, die er gegen den "subjektiven Kritizismus" anführt, haben aber wieder beide Seiten seiner Philosophie an sich: einerseits wirft er z.B. Kant vor, er meine, man könne bloß unterscheidend und trennend denken, als ob nicht jedes Urteil die in Rede stehende Sache von sich unterscheide und zugleich mit dem Prädikat und damit mit sich selbst verbinde; andererseits nimmt Hegel auch hier die Erkenntnis als Realitätsbeweis der Logik und beklagt, daß sich solche Denker mit der Entzweiung von Subjekt und Objekt, mit dem Faktum der Gegenständlichkeit, die dem Subjekt als etwas anderes gegenübersteht, ja mit der Unvernunft sich abfinden würden.

Diese beiden Momente sind in Hegels Philosophie immer vereint, keines findet sich rein ohne die andere Seite. Das erschwert die Beurteilung dieser Philosophie.

Dabei ist es ein Idealismus, Hegel die Vermischung vorzuhalten, hat er doch die ganze treffende Analyse des Denkens überhaupt nur zuwege gebracht, um sie für seine Versöhnungsphilosophie zu mißbrauchen.

Für uns ist die Unterscheidung dieser beiden Momente daher um so wichtiger, als nicht nur Adorno, sondern m.E. bis auf Marx die gesamte Hegelrezeption auf der Nichtunterscheidung dieser beiden Momente beruht.

Exkurs: Probleme der Hegel-Rezeption

Wenn von irgendeiner wissenschaftlichen oder philosophischen Argumentation Adornos Behauptung, sie sei ohne Verzerrungen nicht referierbar, gilt, dann von Hegels Logik. Sosehr Adornos Satz im Allgemeinen fragwürdig ist, sosehr scheint er mir auf die Logik zuzutreffen. Denn diese ist nicht etwa die Analyse eines Gegenstands, dessen Begriff zu wissen am Ende das einzige Interesse war - ein Interesse, das sich auch durch ein abkürzendes Referat befriedigt sieht, sondern der Gegenstand der Logik ist das Denken selber, d.h. nach Abstraktion von allem besonderen Inhalt des Denkens sein logisches "Gerippe". Wird nun von diesem besonderen Inhalt der Logik noch einmal abstrahiert und nur der allgemeine Begriff derselben oder ihr systematisches Gerippe festgehalten, dann hat man buchstäblich nichts mehr in der Hand: 'Das Denken ist Scheiden und Verbinden'; eine 'Triplizität: Position, Negation und Negation der Negation'; oder gar die Schulbuchverflachung dieser leeren Bestimmung: 'These, Antithese und Synthese'. Einer auf diese Erkennungsmarke des Hegelianismus heruntergebrachten Bestimmung des Resultats der 'Logik' fehlt so gut wie alles, was die wissenschaftliche Erklärung des Denkens ausmacht: Argument und Notwendigkeit.

Diese sogenannte logische Figur hat sosehr alle Notwendigkeit verloren, erscheint damit sosehr als eine dem Hegelschen Belieben und seiner Neigung zu Systemen geschuldete Willkür, daß auch Gelehrte, die Hegelkenner sind und Verständnis für dessen Einsichten wecken wollen, diese "Methode" mit einem Brettspiel vergleichen, für das man Regeln formulieren könne. 70)

Als dieses willkürliche Konstrukt ist die Dialektik nicht mehr die abso1ute Methode des Denkens und wird auch nicht mehr so aufgefaßt. Man meint allgemein nicht eine Analyse des Denkens nach dem vollzogenen Denken vor sich zu haben, sondern eine Methode, deren man sich bedienen kann, um das Denken in bestimmter Weise zu lenken, oder auch nicht. Denkmethoden werden, im Bewußtsein der Parteilichkeit dieser Verfahren, üblicherweise untersucht und ausgewählt nach den Resultaten, die sie zu bringen versprechen, und nach dem Wunsch des Wissenschaftlers, dieses Resultat erzielen zu wollen.

Anhänger der so verstandenen Hegelschen "Methode" haben seit Friedrich Engels den Fehler ausgeprägt, sich Beispiele auszudenken, auf die das obige Schema Anwendung finden könnte. Daher scheint mir Adornos Bemerkung zur allgemeinen Schwäche der Hegelrezeption die Sache nicht zu treffen. Seine Kritik trifft den ersten Schritt der Interpretation der dialektischen Methode: die Reduktion auf das inhaltslose Schema:

"Der häufigste Mangel der Hegelinterpretation ist, daß die Analyse nicht inhaltlich mitvollzogen wird, sondern bloß der Wortlaut paraphrasiert." 71)

Für den Zweiten Schritt, gerade der wohlwollenden Hegelinterpretation, scheint das zu gelten, was Hegel explizit abwehren wollte: da wird der Versuch gemacht, Gedanken plausibel zu machen, nicht sie nachzudenken, sondern Verständnis für sie zu wecken:

"Es wird unter Verstehen dann dies gemeint, daß die philosophischen Ideen von dem ausgehen und sich an das anknüpfen sollen, was man sonst im Gemüt, Gedanken oder Vorstellung besitzt; was diesem dem gemeinen Menschenverstande gemäß ist, sich anpassend zeigt, versteht man am leichtesten, wie man überhaupt das am leichtesten versteht, was man schon weiß." 72)

Hegel nennt hier treffend das Problem, das aus der guten Absicht entsteht, einen Gedanken plausibel zu machen: es ist seine Rückführung auf bisher Bekanntes. So sehr mit dieser Bemühung um Verständnis ein Gedanke Zustimmung finden mag, hat er doch durch die Rückführung auf Bekanntes zugleich auch schon seine Überflüssigkeit bewiesen. Das Argument für ihn war ja geradezu gewesen, daß man mit ihm nichts Neues zu lernen brauche - damit aber von ihm auch nichts Neues lernen könne. Alle Versuche, sich bei der Logik "etwas" zu denken, sind also ebenso hilflos, wie Engels "Beweis" des Übergangs zum Maß (das er das "Gesetz des Umschlags von Quantität in Qualität" nennt) mit dem Verweis auf gefrierendes Wasser oder tauendes Eis, je nachdem wie die Grade auf der Temperaturskala variieren. 73) Ruhen kann sich sogar auf Marx berufen, wenn er in der Logik einen mystifizierten Ausdruck der gesellschaftlichen Arbeit vermutet; 74) Popper gibt sich, ehe er die Dialektik als ein immunisierendes Instrument der falschen Propheten verwirft, Mühe, sie als Beschreibung des Fortschritts der Wissenschaft vorzustellen; und sogar neuere, sehr detaillierte Untersuchungen zur Logik Hegels krönen ihre nicht unbedeutende Kenntnis der Argumente mit einer Deutung der Logik als einer "geheimen Sozialtheorie", die nicht das Denken untersucht haben soll, sondern die Herrschaft - und angeblich einer "kommunikativen Freiheit" das Wort redete. 75)

Auf der anderen Seite lehnen aber auch die Kritiker Hegels ihn nicht wegen seiner metaphysischen Ausbeutung der Analyse des Denkens ab, sondern wegen seiner richtigen Seite: Ihm wird vorgeworfen, er habe es unterlassen, das Denken als bloße Meinung und bleibende Ungewißheit darzustellen, um seiner Metaphysik der Subjektivität eine Philosophie der praktischen und theoretischen Bescheidung und Verantwortung entgegenzustellen. 76)

So ist das allgemeine und m.E. problematische Urteil über die Hegelsche Dialektik, daß sie eine Methode der Metaphysik sei.

3. Begriff und Kategorien der Negativen Dialektik

Adorno folgt dem allgemeinen Urteil der Hegelrezeption über die Dialektik, hält sie ebenfalls nicht für die Analyse des Denkens, sondern für eine Methode der Metaphysik und erweist sich selbst gerade darin als Metaphysiker - mit Ausnahme einer Fußnote - daß er selbst an keiner Stelle die wissenschaftliche Leistung Hegels von seiner Benutzung derselben zur "Versöhnung" des Geistes mit der Wirklichkeit unterscheidet. Adorno nimmt, wie in den Fragen der Erkenntnistheorie das Denken, Hegels Dialektik als Metaphysik und versucht auf dieser Basis Dialektik und Affirmation voneinander zu trennen, was freilich scheitern muß. 77)

Hegels Kontamination von Erkenntnis und Legitimation, seine Metaphysik, daß, was erkannt wird, eben dadurch, daß es dem Denken zugänglich ist, auch als vernünftig und gerechtfertigt zu gelten habe, bleibt bei Adorno vollkommen erhalten. Allerdings "schließt" er aus Hegels Gleichung: Erkenntnis = Legitimation, die konforme Umkehrung: Kritik = Nicht-Erkenntnis. Adorno versucht mit den Kategorien der Hegelschen Dialektik eine Methode des kritischen Denkens anzugeben und kommt damit ganz wie Hegel, der selber keine Methode entwarf, sondern das praktizierte Denken analysierte, dazu, Methodologe zu werden. Hegel machte seine richtige Erkenntnis zur Methode, indem er sie nachträglich doch zum Instrument machte und die Gegenstände der materialen Wissenschaften unter die Logik einfach subsumierte. Adorno hat das an Hegel kritisiert 78) und kommt im Versuch, die Dialektik kritisch "anzuwenden", in ebendenselben Fehler der Trennung von Sache und Methode, den er an anderer Stelle entdeckt. 79)

a) Negation

Nach Adornos nichtaffirmativer Metaphysik ist das Scheitern der Erkenntnis, seine Unfähigkeit, mit sich selbst ins Reine zu kommen, das Indiz seiner Wahrheit sowie der Unvernunft des Objekts. Der Widerspruch im Denken ist nicht das Zeichen eines Fehlers, sondern Garant der kritischen Wahrheit: die Sache ist nicht logisch, sie läßt sich vom Gedanken nicht fassen. Adorno meint hierin Hegel zu folgen, der selbst den Widerspruch als den Motor des fortschreitenden Denkens bezeichnet hatte:

"Das Motiv des Widerspruchs ... gilt allgemein als das Gesamtprinzip seiner Philosophie. Nach ihm trägt die dialektische Methode ihren Namen." 80)

Doch ganz anders als bei Hegel, bei dem der Mangel einer Bestimmung der Sache, d.h. der Einwand gegen diese, der Widerspruch zu ihr eine Auflösung verlangt, damit die Sache erst noch richtig bestimmt wird, bleibt bei Adorno der Widerspruch im Denken als das Urteil über die Sache stehen:

"Dialektik als Verfahren heißt, um des einmal an der Sache erfahrenen Widerspruchs willen und gegen ihn in Widersprüchen zu denken. Widerspruch in der Realität, ist sie Widerspruch gegen diese. Mit Hegel aber läßt solche Dialektik nicht mehr sich vereinen." 81)

Der letzte Satz ist nun aber nicht so gemeint, daß hier ein Mißverständnis dessen vorläge, was Hegel mit dem Widerspruch als dem Motor des Denkens meinte, sondern, daß Adorno Hegel bei der Auflösung des Widerspruchs im Denken nicht folgen will, weil der Widerspruch des Gedankens als Protest gegen die dem Gedanken nicht konforme Wirklichkeit Ziel seiner Theorie ist.

"Den dialektischen Widerspruch, Ausdruck des unauflöslich Nichtidentischen wiederum durch Identität glätten heißt soviel wie ignorieren, was er besagt." 82)

Adorno beteuert immer wieder: "Solcher Widerspruch ist kein subjektiver Denkfehler", 83) und hat doch zugleich mit dem Bekenntnis zum bleibenden Widerspruch eine Ahnung davon, daß damit das Bewußtsein sich aufgibt, daß das Denken sich nicht mehr versteht und in Verwirrung gerät. Hier findet sich auch die heikle Stelle, an der Adorno mit dem Wahn kokettiert, 84) da ihm diese Kritik der Wirklichkeit über die Selbstzerrissenheit des Denkens eine solche Preisgabe des Selbstbewußtseins nötig erscheinen läßt. Gleichwohl sind Psychologische Deutungen völlig fehl am Platz, 85) denn wenn ein Philosoph mit dem Wahn rechnet, so ist der Philosoph deswegen nicht wahnsinnig, sondern leistet sich nur die sonderbare Idee, daß man verrückt sein müßte, damit man das einsieht, was die Philosophie sich bei Sinnen als Desiderat der Erkenntnis einfallen ließ. Ebenso unangebracht ist Poppers Kritik, 86) daß nun der Bereich der Willkür eröffnet sei: Der Satz 'ex falso quod libet' trifft eben auch auf Adorno nicht, 86a) da er keineswegs Beliebiges erschließt und auch nicht jeden Widerspruch zuläßt; eine Kritik an diesem Konzept erforderte also schon ein Eingehen auf den bestimmten Widerspruch, den Adorno einzig zuläßt. Ehe jedoch hier der Inhalt "des" Widerspruchs untersucht werden soll, bedarf die Stellung Adornos zu Hegel noch einiger Anmerkungen.

Die Aufnahme des Widerspruchs und Adornos Festhalten desselben gegen die Auflösung zeigt schon, daß Adorno die Dialektik trotz aller Versicherungen, daß der berühmte Dreischritt eine leere Hülse sei, 87) die nichts besagt, doch nach diesem Muster rezipiert und bespricht. Er verbindet, wie allgemein die Hegelrezeption, mit der Kategorie der Negation, die Denken sei, einen anderen als den bloß formellen Inhalt, daß das Denken das unmittelbar sinnlich Gegebene für sich nicht als bloß Sinnliches bestehen läßt, sondern nach seinen allgemeinen Bestimmungen wissen will. Negation, die das Denken damit ist, hat nichts mit Kritik oder Affirmation zu tun; denn nur die besondere Beschaffenheit des Objekts ist schließlich der Grund für eine "Bewertung" der Sache. Adorno aber nimmt die im Denken geleistete Negation als Kritik der Sache - und glaubt sich darin mit Hegel einig. 88) Konsequent gilt ihm die Negation der Negation, im rationellen Sinne also auf das Denken als Ganzes bezogen die Aufhebung der Unbekanntheit des Objekts, auf das Urteil bezogen die Bestimmtheit durch die Unterscheidung usf., nicht als das, was sie jeweils ist: Wissen oder Bestimmtheit des in Rede stehenden Satzsubjekts, sondern als Negation der Entzweiung, Rücknahme der Kritik. 89) 89a) Adorno will also - und das wird sich insgesamt noch als bedeutsam für seine Stellung zur Ontologie erweisen - dein in seinem Sinne gedeuteten "zweiten Schritt" der Dialektik treu bleiben, indem er Hegels dritten Schritt nicht mitmacht: er will das Bewußtsein der Entzweiung, das in Negation als Kritik liegen soll, erhalten und nicht durch die Überwindung derselben, die in Entzweiung ja als Desiderat ausgesprochen ist, "was immer an Widersprechendem auftrete, in der Einheit des Bewußtseins schlichten. 90)

"Ist das Ganze der Bann, das Negative, so bleibt die Negation der Partikularitäten, die ihren Inbegriff an jenem Ganzen hat, negativ. Ihr Positives wäre allein die bestimmte Negation, Kritik, kein umspringendes Resultat, das Affirmation glücklich in Händen hielte." 91)

Bestimmte Negation ist also das Zauberwort der Dialektik geworden, das Hegel doch nur prägte, um auszuschließen, daß mit der Negation einer Bestimmung auf einmal alle Bestimmtheit verloren ginge und alles zugelassen werden müßte, weil nichts mehr gewußt wird. 92) Adorno aber, dank seiner Auffassung der Dialektik als Methode, gibt der "bestimmten Negation" einen besonderen Inhalt:

"Der Nerv der Dialektik als Methode ist die bestimmte Negation. Sie basiert auf der Erfahrung der Ohnmacht von Kritik, solange sie im Allgemeinen sich hält, etwa den kritisierten Gegenstand erledigt, indem sie ihn von oben her einem Begriff als dessen bloßen Repräsentanten subsumiert. Fruchtbar ist nur der kritische Gedanke, der die in seinem eigenen Gegenstand aufgespeicherte Kraft entbindet; für ihn zugleich, indem sie ihn zu sich selber bringt, und gegen ihn, insofern sie ihn daran mahnt, daß er noch gar nicht er selber sei." 93)

Bestimmte Negation denkt Adorno also doppelt; zugleich als Kritik der noch ungenügenden Bestimmung einer Sache, z.B. durch die bloße Subsumtion unter Oberbegriffe, 94) und ebenso als Kritik der Sache selber, die mit diesen ungenügenden Oberbegriffen offenbar doch schon angemessen bestimmt ist, einer Sache somit, die tatsächlich nicht sie selbst ist. Adornos metaphysische Sehnsucht nach Versöhnung entdeckt nicht nur erkenntnistheoretisch einen Bruch zwischen dem denkenden Subjekt und Seinem Objekt; er sieht die Zerrissenheit sowohl im Subjekt 95) als auch als eine des Objekts. Diese - schon erwähnte -Radikalisierung des erkenntnistheoretischen Problems entnimmt Adorno der Hegelschen Kantkritik.

"Bleibt bei Kant die Kritik eine der Vernunft, so wird bei Hegel, der die Kantische Trennung von Vernunft und Wirklichkeit selber kritisiert, Kritik der Vernunft zugleich zu einer des Wirklichen." 96)

Kritik des Wirklichen, die seinen objektiven Widerspruch benennen soll, sieht sich zunächst stets und nicht zu unrecht dem Bedenken ausgesetzt, daß ein 'Widerspruch der Objektivität eine sinnlose Rede sei. 97) An diesem Einwand ist denn auch in jedem Fall das Richtige, daß Widerspruch schon im Wortsinn eine Gegenrede, einen Einwand meint. Als Bestimmung des Objekts gedacht, hieße 'Widerspruch der Sache zu sich' ihre Aufhebung, ihre Vernichtung. Ist sie nämlich nicht eine Einheit ihrer Momente, bilden diese nicht eine Einstimmigkeit, dann fällt die Sache auseinander und hat keinen Bestand; dann ist sie eben nichts! Der objektive Widerspruch ist somit richtig verstanden eine Metapher - wie der schon erwähnte Satz Hegels "Das Ding ist ein Urteil" ebenfalls - für Dinge, besser Verhältnisse, in denen gegensätzliche sich bekämpfende und wechselseitig behindernde Tendenzen und Zwecke herrschen. Berechtigt ist die Anwendung dieser Metapher, weil eben solche Gegensätze in der Tat die Sache zu einer machen, die nicht aus sich Bestand hat. 98)

Adornos objektiver Widerspruch" ist aber gar keiner zwischen verschiedenen wirklichen Momenten einer Sache, sondern zwischen ihrer Wirklichkeit und ihrem Ideal, zwischen ihrem Sein und einem Sollen.

"Womit negative Dialektik ihre verhärteten Gegenstände durchdringt, ist die Möglichkeit, uni die ihre Wirklichkeit betrogen hat und die doch aus einem jeden blickt." 99)

Nun ist freilich 'Möglichkeit' per se deswegen nur Möglichkeit, weil sie nicht Wirklichkeit ist; die Wirklichkeit dagegen ist eine - und läßt sich deshalb ohne weiteres als die Verhinderung irgendwelcher Möglichkeiten auffassen. Nur existiert deswegen noch kein Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, wenigstens nicht objektiv; denn die Wirklichkeit läßt sich von der Möglichkeit, die ja nur möglich und nicht wirklich ist, durchaus nicht stören. Damit ist die eine Seite des Widerspruchs formuliert, den Adorno behauptet, wenn er die Dialektik als etwas sowohl Objektives als auch bloß Subjektives bezeichnet. Der Widerspruch von Wirklichkeit und Möglichkeit ist "kein schlicht Reales: denn Widersprüchlichkeit ist eine Reflexionskategorie, die denkende Konfrontation von Begriff und Sache." 100)

Hierher gehören deshalb Adornos merkwürdige Bekenntnisse zur subjektiven Willkür als dem Garanten einer objektiven Erkenntnis:

"In schroffem Gegensatz zum üblichen Wissenschaftsideal bedarf die Objektivität dialektischer Erkenntnis nicht eines Weniger, sondern eines Mehr an Subjekt. Jedenfalls behalt der subjektive Anteil an Philosophie, verglichen mit der virtuell subjektlosen Rationalität eines Wissenschaftsideals ... einen irrationalen Zusatz." 101)

Adorno denkt beim "Mehr an Subjekt" nicht an das denkende Subjekt, das er vielmehr einer "virtuellen Subjektlosigkeit" bezichtigt, sondern verlangt, daß das kritische, die unverwirklichten Möglichkeiten bedenkende Subjekt eines sein müsse, das beim Denken nicht nur analysiert, sondern sich spielerisch unernst, 102) wünschend 103) und künstlerisch, mimetisch gestaltend 104) verhält. Dieses Wünschen ist zudem nicht nur ein bloß subjektives, sondern vor allen Dingen der Sache nach ein frommen, da - auch schon auf der Ebene so abstrakter Bestimmungen - der "Widerspruch" von Möglichkeit und Wirklichkeit ein prinzipiell unaufhebbarer ist. Die Kritik an Adorno, die - durchweg auf dem Standpunkt des Fehlers von Hegel, also des metaphysischen Mißverständnisses der Logik stehend - sein "negatives Denken" für einen unhaltbaren Einfall befindet, hat hier wohl recht gegen Adorno. 105)

Adornos Idee eines "Widerspruchs von Wirklichkeit und Möglichkeit" soll im folgenden an einem Beispiel inhaltlich präzisiert und erläutert werden.

Exkurs: Realität und Ideal des Tausches

Daß Adornos Analyse des Tausches tatsächlich keine Untersuchung der ökonomischen Keimzelle des Kapitalismus ist, daß Adorno in ihr nicht nur den Kapitalismus nicht entdeckt, 106) sondern daß er den Tausch vornehmlich als das praktische Exempel für Abstraktion in der Realität, als die Wirklichkeit abstrakten Denkens auffaßt, braucht nach den diesbezüglich treffenden schon vorliegenden Untersuchungen sowie nach den oben angeführten Zitaten 107) nicht mehr gesondert aufgewiesen zu werden. Hier interessiert nur die Besprechung des Tausches als eines Widerspruchs von seiner Wirklichkeit und seiner Möglichkeit:

"Der Tausch hat als Vorgängiges reale Objektivität und ist zugleich objektiv unwahr, vergeht sich gegen sein Prinzip, das der Gleichheit." 108)

Die Objektivität dieses Widerspruchs sieht Adorno darin, daß der Tausch seinem eigenen Prinzip, dem der Gleichheit, widersprechen soll. Hierbei fällt auf, daß Adorno den Tausch von vornherein nicht als eine Form der Organisation in der Ökonomie auffaßt, sondern als das Prinzip der Gerechtigkeit; als ökonomischer ist er nämlich keineswegs verletzt, wenn einmal nicht Äquivalente ausgetauscht werden, sondern der eine beim Austausch gewinnt, was der andere verliert. Zweitens aber hat Marx, dessen Warenanalyse auch Adorno als 'Kritik der politischen Ökonomie' kennt, dessen 'Fetischkapitel' er jedoch "wahrhaft" für "ein Stück Erbe der klassischen deutschen Philosophie" ansieht, immer wieder darauf hingewiesen, daß Äquivalente nur im Durchschnitt der Fälle, nicht in jedem einzelnen ausgetauscht werden, daß die Kritik der Ausbeutung wie ihre Erklärung davon aber völlig unberührt bleiben. Gerade der gerechte Austausch vermittelt die Ausbeutung, und der Umstand, daß die vollbezahlte Arbeitskraft mehr Wert schafft, als ihre Herstellung und Wiederherstellung kostet, "ist ein besonderes Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer". 109) Auch die zahllosen Bemühungen von Marx, die Forderung nach einem gerechten Tausch zwischen Kapital und Arbeit als leere Illusion aus den Programmen der Arbeiterbewegung auszuräumen, weil der Lohn als Lohn doch gerecht sei, 110) werden von Adorno nicht bemerkt. Adorno hält sich an das affirmative Ideal des Tausches, die Tausch"gerechtigkeit", um ihn dann als leider nur bedingte Verwirklichung dessen, was er ohnehin ist, erscheinen zu lassen. 111) Vom Gesichtspunkt seines Ideals aus wird der Tausch die Vernunft selber - und ist deshalb noch nicht verwirklicht:

"Würde als Ideal verkündet, es solle, zur höheren Ehre des irreduzibel Qualitativen, nicht mehr nach gleich und gleich zugehen, so schüfe das Ausreden für den Rückfall ins alte Unrecht. Denn der Äquivalententausch bestand von alters her gerade darin, daß in seinem Namen Ungleiches getauscht, der Mehrwert der Arbeit appropriiert wurde. Annullierte man simpel die Maßkategorie der Vergleichbarkeit, so träten anstelle der Rationalität, die ideologisch zwar, doch auch als Versprechen dem Tauschprinzip innewohnt, unmittelbare Aneignung, Gewalt." 112)

Es ist kein Verstoß gegen den Tausch, daß "in seinem Namen Ungleiches getauscht" wird - das ist sogar das Prinzip des Tausches, sonst würde nicht getauscht werden - ebenso wie es kein Mißbrauch "seines Namens" ist, daß durch und über den Tausch der Mehrwert angeeignet und die Produzenten von ihrem Produkt getrennt werden; Adorno aber ist um des Ideals von Gerechtigkeit willen so sehr für den Tausch, daß er zu dem alten Argument der Soziologen greift, die die Zwänge der Gesellschaft damit rechtfertigen, daß, wollte man sie abschaffen, Chaos und damit noch mehr Gewalt herrschen würde. Adorno sieht in der Beseitigung des Tausches als Prinzip des Zusammenhangs der arbeitsteiligen, aber nicht unmittelbar gesellschaftlichen Arbeiten die Abschaffung des Ideals der Gerechtigkeit, das er doch nur vom Tausch gewonnen hatte, und befürchtet den Raub. Deshalb ist seine Kritik vom Ideal her auch der Vervollkommnung des Tauschprinzips auf sein Ideal hin verpflichtet:

"Kritik am Tauschprinzip als dem identifizierenden des Denkens will, daß das Ideal freien und gerechten Tausches, bis heute bloß Vorwand, verwirklicht werde. Das allein transzendierte den Tausch." 113)

Dieses Ideal aber ist durchaus schon verwirklicht - und eben weil der gerechte Tausch Arm und Reich hervorbringt, wird er von dem Ideal begleitet, er solle es nicht, und es dürfe nicht an ihm, sondern müsse an seiner Verfälschung liegen, wenn er es doch tut. Der Unterschied des wirklichen Tausches zum konzipierten idealen ist also nur ausgedacht, er stellt eine falsche Kritik dar. 113a) Zwischen dem Ideal und seiner Wirklichkeit ist der Widerspruch immer nur ein frommes Wünschen, die Sache solle eine Konsequenz, die notwendig mit ihr verbunden ist, nicht zeitigen. 114)

b) Nichtidentität

Da Adorno aber dieses subjektive, unerfüllbare - und sogar von ihm als unerfüllbar gedachte 115) - Wünschen eben als objektiv ausdrücken will, entwirft er eine Theorie des Dings. Es selber soll den Wunsch des in der Utopie schwelgenden Subjekts herbeiwünschen

"In der Sache wartet das Potential ihrer Qualitäten auf das qualitative Subjekt." 116)

Das qualitative Subjekt ist das an anderer Stelle "unreduziert" genannte, welches sich bei der Analyse der potentiellen Qualitäten nicht auf das Denken beschränkt, sondern einen Blick entwickelt, "der deutend am Phänomen mehr gewahrt, als es bloß ist, und einzig dadurch, was es ist." 117) Das Ding ist also nach Adorno mehr als es bloß ist, seine wesentliche Eigenschaft ist dieser Widerspruch: das negative Verhältnis zu sich:

"Das Innere des Nichtidentischen ist sein Verhältnis zu dem, was es nicht selber ist und was seine veranstaltete, eingefrorene Identität mit sich ihm vorenthält." 118)

Dieser Satz ist eine Tautologie und stimmt unter der Voraussetzung des Satzsubjekts: Das Ding sei das mit sich nicht identische. Dies widerspricht, wie schon öfters erwähnt, nicht nur der einfachen Erfahrung, daß die Dinge jeweils eines sind, also wohl auch eine Einheit ihrer Bestimmungen bilden, d.h. mit sich identisch sein werden, sondern auch den Erfordernissen des Denkens, das jeweils eine Bestimmung meint und gibt und dabei auch notwendigerweise ein Ding festzuhalten pflegt. Gleichwohl bildet dieser Widerspruch den Hauptsatz von Adornos Dialektik: Das Wesen des Dings ist nicht seine Beziehung zu sich, und seine Eigenart liegt nicht im Verhältnis seiner Eigenschaften. Seine Identität dagegen, seine Beziehung auf sich ist eine "veranstaltete, eingefrorene", die dem Ding von außen oktroyiert wird und seinem inneren Wesen gar nicht entspricht. Wieder meint Adorno irrtümlich damit einer Einsicht der Hegelschen Logik zu folgen.

"Nach dem dauerhaftesten Ergebnis der Hegelschen Logik ist es (das Existierende, d. V.) nicht schlechthin für sich, sondern in sich sein Anderes und Anderem verbunden. Was ist, ist mehr als es ist. Dies Mehr wird ihm nicht oktroyiert, sondern bleibt, als das aus ihm Verdrängte, ihm immanent. Insofern wäre das Nichtidentische die eigene Identität der Sache gegen ihre Identifikation." 119)

Adorno formuliert hier sein Verständnis haarscharf an Hegel vorbei: Während dieser in der Tat z.B. das 'Etwas' als ein An-sich-Sein und darin zugleich Sein-für-Anderes bestimmt 120) und gerade Wert auf die Identität beider Bestimmungen legt, löst Adorno die Identität auf und macht dadurch "mehr" aus den Dingen, "als sie bloß sind". Hegel wendete gegen Kant die Kritik der ewigen Trennung von An- sich und Für-anderes (bzw. Für-uns) und unterstrich, daß die Dinge für uns nichts anderes sind als an sich selber:

"Dies führt zu einer weiteren Bestimmung. Ansichsein und Sein-für-Anderes sind zunächst verschieden; aber das Etwas dasselbe, was es an sich ist, auch an ihm hat und umgekehrt, was es als Sein-für-Anderes ist, auch an sich ist, - dies ist die Identität des Ansichseins und Seins-für-Anderes, nach der Bestimmung, daß das Etwas selbst ein und dasselbe beider Momente ist, sie also ungetrennt in ihm sind." 121)

Die Auflösung der Identität dieser beiden Bestimmungen durch Adorno kündigt sich in seiner Formulierung schon durch das "nicht schlechthin für sich" an, womit Adorno gegen Hegel das mehr als "bloß" Fürsichsein als die wesentliche Einsicht ins Auge faßt. Hegel dagegen will sagen, daß etwas nur durch seine Bestimmtheit, durch das, was an ihm "daran" ist, seine negative Beziehung auf das, was es nicht ist, eingeht. Hegel sieht hier kein 'mehr', nichts Zusätzliches zum Ansichsein, sondern ein 'dadurch'. Adorno macht daraus ein 'mehr', indem er den wieder richtigen Satzteil: "Das Existierende ist in sich sein Anderes" (das sagt Hegel in Bezug auf die Bestimmtheit des zunächst leeren Etwas), mit "und Anderem verbunden" ergänzt. Anderem ist die so für sich bestimmte Sache höchstens negativ verbunden, d.h. sie ist von ihr abgegrenzt.

Adorno kommt so aber zu einer Bestimmung des Dings, die seine Identität, sein Fürsichsein "schlechthin" auflöst in Verhältnis, Beziehung, Kommunikation. 122) Noch einmal ist dazu an das obige Zitat zu erinnern, das behauptet, das Wesen des Dings, "das Innere des Nichtidentischen ist sein Verhältnis zu dem, was es nicht ist". Die Vorstellung, die Dinge seien ein Verhältnis untereinander; was sie sind, seien sie nicht durch sich, sondern durch das Verhältnis, in das sie als unbestimmtes Nichts treten, kehrt das Verhältnis der Extreme irgendwelcher Beziehungen zu dieser Beziehung exakt um: Während sich in der Tat die Art der Beziehung aus den für sich selbst bestimmten Polen derselben ergibt, sollen bei Adorno die Pole aus dem Verhältnis, das sie eingehen, erst entspringen. Diese Vorstellung der Identität einer Sache macht Adorno zu einer methodischen Vorschrift für die Analyse und zeigt gerade darin noch einmal den Fehler dieser Idee:

"... die Erforschung zumindest eines sozialen Gegenstandes wird falsch, wo sie sich auf Abhängigkeiten innerhalb seines Bereichs begrenzt, die den Gegenstand begründeten und dessen Determination durch die Totalität ignorieren." 123)

Als ob sich die "Determination durch die Totalität" nicht an dem sozialen Gegenstand selbst zeigen würde - und zwar durchaus innerhalb "seines Bereiches" - fordert Adorno den Wissenschaftler auf, er solle sich die Determination durch die Totalität äußerlich hinzudenken. Diese Aufforderung weckt Zweifel an der objektiven Determination durch die Totalität, anstatt sie zu beweisen; sie gebietet, alle sozialen Phänomene als durch die "Totalität vermittelt" anzusehen; ja die Theorie der Nichtidentität der Dinge ist gar nichts anderes als eben diese Methode der soziologischen Systemtheorie.

Eine derartige Betrachtung wird natürlich ohne Schwierigkeiten zutage fördern, was methodisch vorweg in die Sache gelegt wurde: die Vermittlung der Einzeldinge der Gesellschaft durch die Totalität. Problematisch ist diese methodische Anleitung deshalb, weil die Betrachtung einer jeden Sache im Verhältnis zum Ganzen niemals die Eigenart dieser einen Sache zu bestimmen in der Lage ist; stets wird die Bestimmung in das Verhältnis zum Ganzen gelegt - "das Ganze" umgekehrt als die leere Totalität auf dem anderen Pol des Verhältnisses aufgefaßt - so daß eintönig immer nur das Im-Verhältnis-Stehen als einziges Prädikat verkündet wird. Das klassische Beispiel für diese Reduktion der Gesellschaftstheorie auf die Wiederholung der vorausgesetzten Gewißheit, daß alles einzelne eine Funktion für das Ganze hat, sind Talcott Parsons' Theorien, die daher bei ihren materialen Untersuchungen selbst nicht über die Wiederentdeckung des methodischen Urteils am Stoff hinauskommen. 125)

c) Konstellation

Diese methodische Gemeinsamkeit mit dem Systemdenken, das weniger bei Hegel als bei modernen Soziologen auf die bloß formelle Beschwörung des Verhältnisses von Teilen und Ganzem reduziert worden ist, veranlaßt Adorno, seine Stellung zum System noch einmal zu bestimmen. Er sieht einen "Doppelcharakter des Systems": Einerseits war es die universale Herrschaft des Denkens, Hegels "schiefe Projektion eines befriedeten, nicht länger antagonistischen Zustands auf die Koordination herrschaftlichen, unterdrückenden Denkens", 126) die freilich der Welt, in der praktisch abstrakte Begriffe regieren, adäquat sei. Andererseits aber "liquidiert" "Kritik nicht einfach das System", 127) welches auch eine erhaltenswerte Sache ist:

"Die Konzeption des Systems erinnert in verkehrter Gestalt an die Kohärenz des Nichtidentischen, die durch die deduktive Systematik gerade verletzt wird." 128)

Die Kohärenz des Nichtidentischen der Zusammenhang der gesellschaftlichen Dinge, ist zunächst einmal gar nichts anderes als das System, denn was sollte System anderes sein als der Zusammenhang, die Einheit der Momente. 129) Adorno wendet auch nichts gegen den Zusammenhang ein, sondern nur gegen sein theoretisches Zustandekommen: Die deduktive Systematik verletzt die eigene Kohärenz der Dinge, weil sie die Einheit von "oben her" konstruiert. Von oben her aber, meint Adorno, wird die Beziehung der Dinge nicht selber berücksichtigt, sondern sie werden in einen ihnen äußerlichen Zusammenhang gepreßt. So werden sie tatsächlich mehr getrennt denn vereinigt.

"Wohl aber transzendiert das in keinem vorgedachten Zusammenhang Auflösliche als Nichtidentisches von sich aus seine Verschlossenheit." 130)

Also muß das System, das sich nicht dem herrschaftlichen Denken verdankt, statt von oben her von unten nach oben konstruiert werden.

"Das einigende Moment überlebt dadurch, daß nicht von den Begriffen im Stufengang zum allgemeineren Oberbegriff fortgeschritten wird, sondern sie (die Begriffe; d.V.) in Konstellation treten." 131)

Adorno gibt hier einen Unterschied zwischen dem kritisierten System und der von ihm vorgeschlagenen 'Konstellation' an, der eine wissenschaftliche Unterscheidung nicht erlaubt. Die Frage, wie ein Zusammenhang von Elementen auszusehen habe, ist doch nicht jenseits dieser "Elemente" zu entscheiden. Das System der Tierarten und Gattungen z.B. wird in der Tat durch die Reduktion auf immer allgemeinere gemeinsame Merkmale einer Tierklasse gewonnen; das System der politischen Ökonomie gewiß anders. Die Qualität dieser Systeme entscheidet sich aber an der Notwendigkeit ihrer Argumente und nicht am "deduktiven" oder "induktiven", am abstrahierenden oder synthetisierenden Gang derselben. Marx' schon erwähnte Unterscheidung von Forschungs- und Darstellungsweise deutet sogar an, daß der Weg des Denkens, eben weil Notwendigkeit herrscht, immer sowohl vorwärts als auch zurück gegangen werden kann und im Interesse einer stringenten Darstellung auch muß. Die Differenz aber, die Adorno zwischen dem System und der Konstellation sieht, ist für dieses wissenschaftliche Kriterium belanglos. Er will wohl eine Beschreibung des sachgerechten Verfahrens geben und dieses von einer Konstruktion, die über die Besonderheit der Objekte hinweggleitet, abgrenzen. Aber mehr als die Versicherung, er wolle schon die Systemkonstruktion, aber eine, die der Sache nicht Gewalt antue, kommt bei seiner Unterscheidung nicht heraus.

Etwas anderes aber als dieses Ideal des harmonischen System soll nach Adornos Absicht auch gar nicht erreicht werden. Er beschreibt seine metaphysische Sehnsucht nach der Hegelschen Versöhnung im alles umfassenden und zur Einheit verbindenden System, das allerdings keine Zwangsgemeinschaft der Elemente sein darf, sondern - quasi wie in Rousseaus conctract social - durch die Elemente aus freien Stücken gebildet. So kommt Adorno zu dem paradoxen Urteil, daß sowohl "Das Ganze ... das Unwahre" 132) ist, wie auch das Einzelne:

"Er (Hegel; d. V.) demonstrierte, daß Begriff, Urteil, Schluß, unvermeidliche Instrumente, um mit Bewußtsein eines Seienden überhaupt sich zu versichern, jeweils mit diesem Seienden in Widerspruch geraten; daß alle Einzelurteile, alle Einzelbegriffe, alle Einzelschlüsse nach einer emphatischen Idee von Wahrheit, falsch sind." 133)

Darin - wie überhaupt - folgt Adorno Hegels Fehler, der nur manchmal zurecht den Übergang von einer Kategorie zu einer anderen macht, manchmal aber auch diesen Übergang nur durch die Vergleichung mit seinem vorausgesetzten Resultat - der Idee. 134) Adorno gibt hier aber das Motiv seiner 'bestimmten Negation' an, wenn er "die Einzelheit" nicht nur bei Begriffen und Urteilen kritisiert:

"Die Unzulänglichkeit aller isolierten Einzelbestimmungen ist immer zugleich auch die Unzulänglichkeit der partikularen Realität, die von jenen Einzelbestimmungen gefaßt wird." 135)

So zeigt sich, daß die Unwahrheit des Ganzen von der des Einzelnen durchaus verschieden ist. Ist das Ganze unwahr, weil es (leider) noch gar nicht wirklich die Einheit der Momente der Realität zu sein beanspruchen darf, sondern nur der durch Abstraktionen im Bewußtsein - also bloß in der Einbildung - versöhnte Bruch der Entfremdung, so ist das Einzelne per se "Unwahr", denn es hat sich mit anderem zu vereinen, hat Moment eines größeren Ganzen zu sein, und will dies auch, wenn es sein ihm gemäßes Ganzes auch noch nicht verwirklicht hat.

"Das negative Motiv der Identitätsphilosophie hat seine Kraft behalten; nichts Partikulares ist wahr, keines ist, wie seine Partikularität beansprucht, es selber." 136)

Adorno ist also durchaus ein treuer Hegelianer - aber nur in Bezug auf den Fehler Hegels. Auch er geht vom Bewußtsein der Entzweiung aus, auch er richtet sein Denken sehnsüchtig auf Versöhnung, auch er ist bereit, die Erkenntnis der Realität für ihren Vernunftbeweis zu nehmen, und auch er strebt daher ein System von Einheit, Einstimmigkeit und Harmonie an, obwohl oder gerade weil er die Identität als Ideologie begriffen haben will.

Allerdings hält die Philosophie Adornos diesen Ausgangspunkt der Entzweiung fest, gegen die in ihm schon angestrebte Versöhnung. Darin liegt sein Unterschied zu Hegels metaphysischer Seite. Adorno ist daher ein Philosoph der Sehnsucht nach philosophischer Versöhnung, nach Trost, den er - stellt er sich ein - auch gleich wieder als Lüge durchschaut. 137)

Anmerkungen

1) Siehe: Adorno, Der Positivismusstreit, a.a.O., besonders S. 78 f.

2) Ein Hinweis auf die weitgehende Vereinbarkeit der Grundpositionen von Frankfurter Schule und kritischem Realismus liegt in der Entwicklung der zweiten Generation ihrer Vertreter. Hatte Habermas den kritischen Anspruch der Dialektik weiterentwickelt zu einem Demokratiemodell der Erkenntnis, in dem die Kommunikation der Wissenschaftler und ihr Konsens das Kriterium der Wahrheit und zugleich das in der Wissenschaftlergemeinschaft vorweggenommene Ideal der "vernünftigen Identität" bilden, so kam ihm von der anderen Seite Michael Theunissen, noch 1969 ein Kritiker der Frankfurter Schule, den ganzen Weg entgegen. Nicht nur der von der Frankfurter Schule beachtete, von den kritischen Rationalisten aber angegriffene Hegel wurde von Theunissen zum Hauptgegenstand seiner neueren Forschungen gemacht, er entdeckte in Hegels Logik Habermas' Wissenschafts- und Gesellschaftsmodell der "kommunikativen Freiheit".

Jürgen Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: Habermas/Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung?, FfM 1971.

Michael Theunissen, Gesellschaft und Geschichte, Zur Kritik der kritischen Theorie, Berlin 1969.

ders., Sein und Schein, Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, FfM 1978.

3) Siehe dazu Abschnitt 3 dieses Kapitels zu Adornos Begriff der Vermittlung.

4) Theunissen, Sein und Schein, a.a.O., S. 474.

5) Marx, Kapital Bd. I, MEW 23, S. 27.

6) ders., Brief an Fr. Engels um den 16. Januar 1858, MEW 29, S. 260.

7) Siehe: Paul Lorenzen / Oswald Schwemmer, Konstruktive Logik, Ethik und Wissenschaftstheorie, Einleitung, Mannheim 1973.

Desgleichen: Jürgen Mittelstraß, Die Möglichkeit von Wissenschaft, FfM 1974.

8) Diesen Widerspruch, daß man schon vor der Erkenntnis der Sache eine ihrer Besonderheit angemessene Methode soll wählen können, fordert Habermas; er bezweifelt,

"daß die Wissenschaft in Ansehung der vom Menschen hervorgebrachten Welt ebenso indifferent verfahren darf, wie es in den Naturwissenschaften mit Erfolg geschieht. Die Sozialwissenschaften müssen sich vorgängig der Angemessenheit ihrer Kategorien an den Gegenstand versichern, weil Ordnungsschemata, denen sich kovariante Größen nur zufällig fügen, unser Interesse an der Gesellschaft verfehlen."

Jürgen Habermas, Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik, Nachtrag zu einer Kontroverse (1963), in: Adorno u.a., Der Positivismusstreit..., a.a.O.

9) Popper vertritt diese kühne These:

"Die Methode der Wissenschaft ist die Methode der kühnen Vermutung und der sinnreichen und ernsthaften Versuche, sie zu widerlegen."

Popper, Objektive Erkenntnis, Ein evolutionärer Entwurf, Hamburg 1973, S. 95.

Noch deutlicher sein Schüler Helmut Spinner:

"Diese epistemologisch-methodologischen Kriterien und Regeln, die unsere Erkenntnis normieren, indem sie Ziele setzen und methodische Anweisungen zum Handeln geben, werden nicht ge- sondern erfunden."

Helmut Spinner, Pluralismus als Erkenntnismodell, FfM 1974, S. 11.

9a) Hegel, Logik I, a.a.O.

10) ders., Enz. I, WW 8, § 41 mündl. Zusatz I, S. 114.

11) ders., Logik I, S. 24.

12) a.a.O., Vorrede, S. 13.

13) a.a.O. S. 10.

14) a.a.O., S. 40.

15) a.a.O.

16) Siehe Hegels Ausführung des Stichworts 'Muße zur Logik':

"In der Tat setzt das Bedürfnis sich mit dem reinen Gedanken zu beschäftigen, einen weiten Gang voraus, den der Menschengeist durchgemacht haben muß, es ist, kann man sagen, das Bedürfnis des schon befriedigten Bedürfnisses der Notwendigkeit, der Bedürfnislosigkeit, zu dem er gekommen sein muß, der Abstraktion von dem Stoffe des Anschauens, Einbildens usf., der konkreten Interessen des Begehrens, der Triebe, des Willens, in welchem Stoffe die Denkbestimmungen eingehüllt stecken. In den stillen Räumen des zu sich selbst gekommenen und nur in sich seienden Denkens schweigen die Interessen."

a.a.O., Vorrede, S. 12.

17) Hegel, Konzept der Rede beim Antritt des philosophischen Lehramtes an der Universität Berlin vom 22. Oktober 1818, WW 10, S. 412.

18) Es wird hier auch nicht behauptet, daß der Verfasser eine Interpretation der Logik geben könnte; zu viele Stellen sind noch unaufgelöst.

Mit Marx wäre aber zu bemerken, daß die Aufklärung der richtigen Einsichten der 'Logik' sowie die Unterscheidung von dem mit ihnen verbundenen Fehler eine der wenigen lohnenden Aufgaben darstellen würde, die eine eigenständige Philosophie noch bietet.

19) Hegel, Enz. I, WW 8, § 136, mündl. Zusatz 2, S. 271 f. Die Stellen der 'kleinen Logik' eignen sich in unserem Fall für die der logischen Analyse besser als die entsprechenden Stellen der 'großen Logik'. In der kleinen, besonders in den mündlichen Zusätzen drückt Hegel nämlich auch in der Darstellung aus, daß er in den Kategorien des Denkens spricht, mit denen wir uns die Gegenstände der Anschauung erklären und deren Erklärungskapazität in der Logik geprüft wird. Siehe in obigem Zitat: "die innere Einheit, welche wir als Kraft bezeichnen..."

In der großen Logik dagegen spricht Hegel - dieses Umstands eingedenk und des richtigen Verständnisses seiner Leser sicher - nur noch von der Kraft, ihrer Bewegung, den Verhältnissen, in die sie tritt, als sei sie ein Subjekt für sich. Diese Komplizierung wird durch die Ausdrucksweise in der 'kleinen Logik' vermieden.

20) a.a.O., S. 273.

21) Chomsky begründet seine Trennung von geäußerter Sprache und dahinterstehender, aber nicht zugänglicher Kompetenz explizit:

Noam Chomsky, Aspekte der Syntaxtheorie, FfM 1969, S. 32.

22) Zu Kant siehe den ersten Abschnitt des Kapitels 'Erkenntnistheorie'; besonders Fußnote 19.

23) Hegel, Enz. I, § 137, S. 273.

24) a.a.O., S. 273 f.

25) a.a.O., § 136, schriftl. Zusatz, S. 270.

26) a.a.O.

27) a.a.O., mündl. Zusatz, S. 270.

28) Hegel, Logik II, S. 145.

29) ders., Enz. I, § 136, mündl. Zusatz I, S. 271.

30) a.a.O., § 137, S. 274.

31) a.a.O., § 139, S. 274.

32) a.a.O., § 167, S. 318.

32a) a.a.O., § 166, mündl. Zusatz, S. 317 f.

32b) ders., Logik II, S. 267/268.

32c) a.a.O., S. 266.

33) a.a.O.

34) a.a.O., S. 269 f.

35) ders., Enz. I, § 168, schriftl. Zusatz, S. 320.

36) ders., Logik II, S. 365.

37) ders., Enz. I, § 166, schriftl. Zusatz, S. 317.

38) a.a.O., § 167, S. 318 f.

39) a.a.O., § 169, S. 320.

40) a.a.O., § 166, mündl. Zusatz, S. 318.

41) ders., Logik I, S. 35 f.

42) a.a.O., S. 36.

43) ders., Phänomenologie des Geistes, ed. Hoffmeister, Hamburg 1952, S. 12.

44) ders., RPh, § 31, S. 46.

45) Hegels Bemerkung zu diesem Problem der Darstellung ist weniger bekannt als Marx' fast wörtliche Übernahme derselben.

"Der dem Begriff angehörige Fortgang vom Allgemeinen zum Besonderen ist Grundlage und Möglichkeit einer synthetischen Wissenschaft, eines Systems und systematischen Erkennens. Die erste Erfordernis hiefür ist, wie gezeigt, daß der Anfang mit dem Gegenstande in der Form eines Allgemeinen gemacht werde. Wenn in der Wirklichkeit, es sei der Natur oder des Geistes, die konkrete Einzelheit dem subjektiven, natürlichen Erkennen als das Erste gegeben ist, so muß dagegen in dem Erkennen, das wenigstens insofern ein Begreifen ist, als es die Form des Begriffs zur Grundlage hat, das Einfache, von dem Konkreten Ausgeschiedene das Erste sein...

Hegel, Logik II, S. 458; ferner S. 459.

Dazu Marx:

"Es scheint das Richtige zu sein, mit dem Realen und Konkreten, der wirklichen Voraussetzung zu beginnen, also z.B. in der Ökonomie mit der Bevölkerung, die Grundlage und Subjekt des ganzen gesellschaftlichen Produktionsakts ist. Indes zeigt sich dies bei näherer Betrachtung als falsch. ... Finge ich also mit der Bevölkerung an, so wäre das eine chaotische Vorstellung des Ganzen, und durch nähere Bestimmung würde ich analytisch immer mehr auf einfachere Begriffe kommen; von dem vorgestellten Konkreten auf immer dünnere Abstrakta, bis ich bei den einfachsten Bestimmungen angelangt wäre. ... Sobald die einzelnen Momente mehr oder weniger fixiert und abstrahiert waren, begannen die ökonomischen Systeme, die von den einfachen, wie Arbeit, Teilung der Arbeit, Bedürfnis, Tauschwert, aufsteigen bis zum Staat, Austausch der Nationen und Weltmarkt. Das Letztere ist offenbar die wissenschaftlich richtige Methode."

Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, MEW 13, S. 631 f.

Es ist interessant, daß Marx diese völlig richtigen Bemerkungen über seine Darstellungsweise nicht veröffentlicht hat:

"Eine allgemeine Einleitung, die ich hingeworfen hatte, unterdrücke ich, weil mir bei näherem Nachdenken jede Vorwegnahme erst zu beweisender Resultate störend erscheint, und der Leser, der mir überhaupt folgen will, sich entschließen muß, von dem einzelnen zum allgemeinen aufzusteigen."

Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, MEW 13, S. 7.

Wie gut Marx daran tat, die Methode seiner Darstellung nicht zu einem möglichen Thema zu machen und von seinen Lesern den sachlichen und damit eben nicht methodischen Nachvollzug seiner Theorie zu fordern, zeigt nichts deutlicher als die 'Kapital'-Diskussion zum Beginn der siebziger Jahre, als die "hingeworfene Einleitung" längst veröffentlicht war. Zahllose Versuche, Marx' 'Kapital' mit Hegels 'Logik' zu parallelisieren und als Anwendungsbeispiel der Logik zu lesen, leisteten alles andere, als die harten ökonomischen Urteile dieses Buches einem gebührenden Interesse zuzuführen. Selbst Beiträge, die innerhalb der Methodendiskussion noch auf den ökonomischen Inhalt verweisen wollten, wollten und konnten nicht vermeiden, als Fortsetzung des methodischen Interesses zu erscheinen.

Siehe dazu: Rüdiger Bubner, Logik und Kapital, in: ders., Dialektik und Wissenschaft, FfM 1973.

Jindrich Zelený, Die Wissenschaftslogik und 'Das Kapital', FfM/Wien 1969.

Helmut Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx, FfM/Wien 1970.

Vgl. auch die Aufsätze von Backhaus und Krahl.

46) Siehe dazu wiederum Marx:

"Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und deren inneres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wieder, so mag es aussehen, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun."

Marx, Das Kapital, Bd. I, MEW 23, S. 27.

47) Hegel hebt selbst hervor, daß die logische Darstellung zugleich die für den Nachvollzug bequemste ist:

"Wenn bloß nach der Leichtigkeit gefragt ist, die abstrakte einfache Gedankenbestimmung zu fassen als das Konkrete, welches eine vielfache Verknüpfung von solchen Gedankenbestimmungen und deren Verhältnisse ist."

Hegel, Logik II, S. 459.

48) Marx macht sich über F. Lange lustig, der weder die Hegelsche 'Methode' verstanden hat, noch weiß, daß sie dasselbe wie Sach1ichkeit ist:

"Was derselbe Lange über Hegelsche Methode und meine Anwendung derselben sagt, ist wahrhaft kindisch. Erstens versteht er rien von Hegels Methode und darum zweitens noch viel weniger von meiner kritischen Weise, sie anzuwenden. ... Lange ist so naiv zu sagen, daß ich mich in dem empirischen Stoff 'mit seltenster Freiheit bewege'. Er hat keine Ahnung davon, daß diese 'freie Bewegung im Stoff' durchaus nichts anderes als Paraphrase ist für die Methode, den Stoff zu behandeln - nämlich die dialektische Methode..."

Marx, Brief an Kugelmann vom 27. Juni 1870, MEW 32, S. 658 f.

49) Siehe S. 113.

50) Hegel, Enz. III, Konzept der Rede..., WW 10, S. 412/413.

51) ders., Logik I, S. 31.

52) a.a.O., S. 32.

53) "Im ersten Weg wurde die volle Vorstellung zu abstrakter Bestimmung verflüchtigt; im zweiten führen die abstrakten Bestimmungen zur Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens. Hegel geriet daher auf die Illusion, das Reale als Resultat des sich in sich zusammenfassenden, sich in sich vertiefenden und aus sich selbst sich bewegenden Denkens zu fassen, während die Methode. vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen, nur die Art für das Denken ist, sich das Konkrete anzueignen, es als ein geistig Konkretes zu reproduzieren. Keineswegs aber der Entstehungsprozeß des Konkreten selbst. ... Für das Bewußtsein daher - und das philosophische Bewußtsein ist so bestimmt - dem das begreifende Denken der wirkliche Mensch und daher die begriffene Welt als solche erst das Wirkliche ist, erscheint daher die Bewegung der Kategorien als der wirkliche Produktionsakt ... dessen Resultat die Welt ist; und dies ist - dies ist aber wieder eine Tautologie - soweit richtig, als die konkrete Totalität als Gedankentotalität, als ein Gedankenkonkretum, in fact ein Produkt des Denkens ist... Das Ganze, wie es im Kopfe als Gedankenganzes erscheint, ist ein Produkt des denkendes Kopfes, der sich die Welt in der ihm einzig möglichen Weise aneignet..."

Marx, Einleitung zur Kritik..., MEW 13, S. 632 f.

54) Marx hatte entdeckt, daß diese Lösung nur für denjenigen 'naheliegt', der noch die Not verspürt, die Objektivität des Denkens beweisen zu müssen, anstatt - siehe das Kapitel 'Erkenntnistheorie' - den Fehler dieser Frage zu erkennen. Hegel wollte nicht nur darstellen, wie das Denken einzelne, einseitige und darum nur subjektive Bestimmungen und Kategorien immanent überwindet, sondern ebenso aus der logischen Natur der Objekte die Möglichkeit der Übereinstimmung ableiten, und dokumentierte darin noch die Unsicherheit des Denkens, das nicht einfach Angriffe widerlegt, die selber vom Denken Gebrauch machen müssen, sondern noch zusätzlich meint, sich beweisen zu müssen. Marx berichtet, daß Feuerbach der Hegelschen 'Negation der Negation', durch die doch nur die Dinge für das Bewußtsein bestimmt werden, das "auf sich selbst ruhende und positiv auf sich selbst begründete Positive entgegenstellt"; denn:

"Die Position oder Selbstbejahung, die in der Negation der Negation liegt, wird für eine ihrer selbst noch nicht sichere, darum mit ihren Gegensatz behaftete, an sich selbst zweifelnde und darum des Beweises bedürftige, also nicht durch ihr Dasein sich selbst beweisende, als nicht eingestandene Position gefaßt und darum ihr indirekt und unvermittelt die sinnlich gewisse, auf sich selbst gegründete Position entgegengestellt."

Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik und Philosophie überhaupt, MEW Ergänzungsband I, S. 570.

55) Hegel, Logik II, S. 486 f.

56) ders., RPh., § 189 schriftl. Zusatz, S. 170.

57) ders. (Wegen des mündlichen Zusatzes wird die Werkausgabe in diesem besonderen Fall hinzugezogen), RPh, § 189, mündl. Zusatz, WW 7, S. 347.

58) Daß die Operation des Denkens, sich durch Abstraktion von allem Inhalt in jedem besonderen Stoff wiederzufinden, keine Schwierigkeit ist, bemerkt Marx ironisch in der Kritik an Proudhon:

"Ist es zum Verwundern, daß in letzter Abstraktion - denn es handelt sich um Abstraktion, nicht um Analyse - jedes Ding sich als logische Kategorie darstellt? Ist es zum Verwundern, daß, wenn man nach und nach alles fallen läßt, was die Individualität eines Hauses ausmacht, wenn man von den Baustoffen absieht, woraus es besteht, von der Form, die es auszeichnet, man schließlich nur noch einen Körper vor sich hat; daß, wenn man von den Umrissen dieses Körpers absieht, man schließlich nur einen Raum hat; daß, wenn man endlich von den Dimensionen dieses Raumes abstrahiert, man zum Schluß nichts mehr übrig hat als die Quantität an sich, die logische Kategorie der Quantität? Wenn wir solchermaßen konsequent abstrahieren, von jedem Subjekt, von allen seinen belebtem und unbelebten angeblichen Akzidentien, Menschen und Dingen, so haben wir ein Recht zu sagen, daß man in letzter Abstraktion nur noch die logischen Kategorien als Substanz übrigbehält."

Marx, Das Elend der Philosophie, MEW 4, S. 127.

59) So hatte Hegel den Anaxagoras einerseits sehr dafür gelobt, daß er als erster den "NOUS" zur Substanz der Welt erklärte, und ihn andererseits dafür kritisiert, daß er bei der Bestimmung des Wesens jenseits der Erscheinungen stehenblieb; denn so blieben die Erscheinungen ein Jenseits gegen ihr angebliches Wesen, und Anaxagoras hatte statt des einheitlichen Prinzips einen Dualismus installiert:

"Was nun die einfache spekulative Beziehung des NOUS auf diese Materie betrifft: so sind beide spekulativ nicht als Eins gesetzt! Denn diese ist nicht als Eins gesetzt, der Begriff ist nicht in sie selbst eingedrungen."

Hegel, Vorl. über die Geschichte der Philosophie I, W 18, S. 392.

60) Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik und Philosophie überhaupt, MEW Ergänzungsband I, S. 571.

61) Die Aufhebung der 'Entfremdung' bedeutet für Hegel nicht die Beseitigung einer nicht vernünftig zu bejahenden Objektivität, sondern die Aufhebung des Objektcharakters der Wirklichkeit im Geiste:

"Die Aneignung des entfremdeten gegenständlichen Wesens... hat für Hegel zugleich oder sogar hauptsächlich die Bedeutung, die Gegenständ1ichkeit aufzuheben, weil nicht der bestimmte Charakter des Gegenstands, sondern sein gegenständ1icher Charakter für das Selbstbewußtsein das Anstößige in der Entfremdung ist. Der Gegenstand ist daher ein Negatives, ein sich selbst Aufhebendes, eine Nichtigkeit. Diese Nichtigkeit hat für das Bewußtsein nicht nur eine negative, sondern eine positive Bedeutung, denn jene Nichtigkeit des Gegenstands ist eben die Selbstbestätigung der Ungegenständlichkeit, der Abstraktion seiner selbst."

Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik..., a.a.O., S. 579f.

62) Hegel, Enz. I, WW 8, § 212 mündl. Zusatz, S. 367.

63) Dies ist der wesentliche Einwand von Marx gegen Hegels Argumentationsweise in der Analyse des Staates (Rechtsphilosophie).

Zum § 267, in dem die Staatsorgane und die Verfassung als der Organismus des Staates bestimmt werden, sodann aber aus [einem abstrakten] Organismus, nicht aus dem bestimmten des Staates, die einzelnen Momente deduziert und den abstrakten Bestimmungen der Einzelheit dann wieder die bestimmten, wirklichen Staatsgewalten unterschoben werden, meint Marx:

"Der Wahrheit nach hat Hegel nichts getan, als die 'politische Verfassung' in die allgemeine abstrakte Idee des 'Organismus' aufgelöst, aber dem Schein und seiner eigenen Meinung nach hat er aus der 'allgemeinen Idee' das Bestimmte entwickelt. Er hat zu einem Produkt, einem Prädikat der Idee gemacht, was ihr Subjekt ist. Er entwickelt sein Denken nicht aus dem Gegenstand, sondern den Gegenstand nach einem mit sich fertig und in der abstrakten Sphäre der Logik mit sich fertig gewordenen Denken. Es handelt sich nicht darum, die bestimmte Idee der politischen Verfassung zu entwickeln, sondern es handelt sich darum, der politischen Verfassung ein Verhältnis zur abstrakten Idee zu geben."

Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, S. 213.

Subsumtion unter die Logik aber gibt gar nicht die Besonderheit der Sache an:

"Eine Erklärung, die aber nicht die differentia specifica gibt, ist keine Erklärung. Das einzige Interesse ist, 'die Idee' schlechthin, die 'logische Idee' in jedem Element, sei es des Staates, sei es der Natur, wiederzufinden, und die wirklichen Subjekte, wie hier die 'politische Verfassung', werden zu ihren bloßen Namen, so daß nur der Schein eines wirklichen Erkennens vorhanden ist."

a.a.O., S. 210 f.

64) Diese Bestimmungen der Dinge sind Subsumtionen unter die Logik, insofern gilt die Kritik des obigen Punktes für sie genauso. Allerdings ist damit für den Leser noch nicht alle Erkenntnis verloren; diese Bestimmungen sind, als Metaphern gelesen, Bestimmungen des Verhä1tnisses von Ding und seinen Eigenschaften, von Recht, Rechtsbruch und Strafe usw. Damit ist das Ding freilich kein Urteil, aber es verhält sich zu seiner Eigenschaft wie das Subjekt des Urteils zum Prädikat; wie dieses erst durch das Prädikat bestimmt wird als das, was es ist, so ist das Ding auch selber das Verhältnis, der Zusammenhang seiner Eigenschaften.

65) Hegel weist Krugs Ansinnen, der neueste Idealismus solle ihm doch einmal seine Schreibfeder deduzieren, einerseits als ein unter der Philosophie stehendes Begehren und die Schreibfeder als einen der Philosophie nicht würdigen Gegenstand zurück; andererseits gibt er, eine Seite später, Krug durchaus Auskunft darüber, an welcher Stelle des Systems er die 'leichte Aufgabe' der Deduktion "von einem derjenigen Dinge, die er vorschlägt, von Eisen finden" kann.

Hegel, Wie der gemeine Menschenverstand die Philosophie nehme, - dargestellt an den Werken des Herrn Krug, WW 2, S. 194 f.

66) Siehe Hegels Bestimmung des Mangels der praktischen Zweckmäßigkeit:

"Als Resultat ergibt sich hiemit, daß die äußere Zweckmäßigkeit, welche nur erst die Form der Teleologie hat, eigentlich nur zu Mitteln, nicht zu einem objektiven Zwecke kommt, - weil der subjektive Zweck als eine äußerliche, subjektive Bestimmung bleibt."

Hegel, Logik II, S. 402.

Sowie sein Übergang zur Idee, den Hegel nur durch die Ersetzung der "Aufhebung der Äußerlichkeit" des nützlichen Gegenstandes durch seinen Ge- und Verbrauch in die "Aufhebung der Äußerlichkeit überhaupt" übersetzt:

"Diese Reflexion aber, daß der Zweck in dem Mittel erreicht und im erfüllten Zwecke das Mittel und die Vermittlung erhalten ist, ist das letzte Resultat der äußerlichen Zweckbeziehung, worin sie selbst sich aufgehoben und das sie als ihre Wahrheit dargestellt hat. - Der zuletzt betrachtete dritte Schluß ist dadurch unterschieden, daß er erstens die subjektive Zwecktätigkeit der vorhergehenden Schlüsse, aber auch die Aufhebung der äußerlichen Objektivität, und damit der Äußerlichkeit überhaupt durch sich selbst, hiemit die Totalität in ihrem Gesetztsein ist."

a.a.O., S. 405.

67) Marx bestimmt den Grund für Hegels affirmative Stellung zu Staat, Religion usf. damit, daß sich bei Hegel das "Bewußtsein als nur Bewußtsein nicht an der entfremdeten Gegenständlichkeit, sondern an der Gegenständlichkeit als solcher seinen Anstoß hat." Damit aber ist sie herzlich gleichgültig gegen den bestimmten Charakter des Gegenstands und akzeptiert ihn durchaus, sofern er nur sich unter die Logik subsumieren, also den Realitätsbeweis der Logik zuläßt.

"Hier ist die Wurzel des falschen Positivismus Hegels oder seines nur scheinbaren Kritizismus."

"Von einer Akkomodation Hagels gegen Religion, Staat etc. kann also keine Rede mehr sein, da diese Lüge die Lüge seines Progresses ist."

Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik..., MEW Ergänzungsband I, S. 581.

68) Man sieht an diesem Prinzip der Affirmation, wie sekundär die zusätzlichen politischen Rücksichten einzuschätzen sind, die Ilting in den verschiedenen Versionen der Vorlesung zur Rechtsphilosophie zwischen 1817 und 1820 nachweist.

Karl-Heinz Ilting, Die 'Rechtsphilosophie' von 1820 und Hegels Vorlesungen über Rechtsphilosophie, in: ders. (Hrsg.), G.W.F. Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818 bis 1831, Stuttgart 1973, Bd. I, S. 23-126.

69) Noch einmal Marx' Bestimmung dieses Aufhebens der Gegenständlichkeit:

"Alle Wiederaneignung des entfremdeten gegenständlichen Wesens erscheint daher als eine Einverleibung in das Selbstbewußtsein; der sich seines Wesens bemächtigende Mensch ist nur das der gegenständlichen Wesen sich bemächtigende Selbstbewußtsein."

Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik..., a.a.O., S. 576.

70) Hans Friedrich Fulda, Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik, in: Rolf-Peter Horstmann (Hrsg.), Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, FfM 1978, S. 48.

"Charakteristisch ist für die dialektische Logik gerade dies, daß sich die behandelten Termini im Fortgang der Untersuchung erst allmählich an die ihnen zukommende systematische Stelle schieben. Man könnte diesen Vorgang in einem Brettspiel abbilden, für das die entsprechenden Regeln formulierbar sind."

71) Adorno, Drei Studien zu Hegel, FfM 1963, S. 147.

72) Hegel, Konzept der Rede..., WW 10, S. 416.

73) Fr. Engels, Dialektik der Natur, MEW 20, S. 350 ff.

74) Peter Ruben 'deutet' ebenfalls die Logik und denkt sich die gesellschaftliche Arbeit darunter:

"Die von Sir Charles mit Betrübnis festgestellte Tatsache, daß der Marxismus Hegels 'Logik' wärmstens dem aufmerksamen Studium empfiehlt, ist nichts anderes als der Ausdruck des Interesses der Philosophie der Arbeiter die wesentliche Natur der Arbeit wissenschaftlich zu begreifen."

"Unsere Annahme für die nachfolgenden Überlegungen also lautet: Hegels Philosophie liefert die Theorie der konkreten Arbeit in mystischer Form."

Peter Ruben, Von der 'Wissenschaft der Logik' und dem Verhältnis der Dialektik zur Logik, in: Rolf-Peter Horstmann, Seminar: Dialektik..., a.a.O., S. 71/72.

Ruben kann sich auf den frühen Marx zur Unterstützung seiner Deutung berufen, da auch Marx Hegels Analyse des Denkens nicht nur als solche nehmen, davon lernen und sie als solche kritisieren wollte, sondern meinte, die Form der Dialektik für seine "materialistische Philosophie" als Beleg benützen zu können: Hegel sprach vom Denken wie von einem Demiurgen, dabei müßte an seiner Stelle materialistisch die Arbeit stehen.

"Das Große an der Hegelschen Phänomeno1ogie und ihrem Endresultate - der Dialektik der Negativität als dem bewegenden und erzeugenden Prinzip - ist also einmal, daß Hegel die Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozeß faßt, die Vergegenständlichung als Entgegenständlichung, als Entäußerung und als Aufheben dieser Entäußerung; daß er also das Wesen der Arbeit faßt und den gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift."

Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik..., MEW Ergänzungsband I, S. 574.

Da erhebt sich allerdings schon die Frage, warum Hegel das Verhältnis von Subjekt und Objekt, welches die Arbeit ist, noch extra, nämlich im Teleologie-Kapitel abgehandelt hat, wenn er überall "im mystischer Form" von nichts anderem als von Arbeit sprach? Zu Marx' "materialistischer Philosophie" siehe das folgende Kapitel.

75) Michael Theunissens Untersuchung der Hegelschen Logik hat eine eigentümliche Doppelstruktur: Er behandelt alle Abschnitte der Seins- und einige der Wesenslogik mit jeweils zwei Kapiteln, deren eines unter der Überschrift 'Interpretation' sich detailliert und kenntnisreich um das Verständnis des Textes bemüht, deren anderes aber die Interpretation des logischen Resultats übernimmt und dabei in dem Verhältnis, das die Kategorien der Seinslogik untereinander einnehmen, Selbständigkeit und Relativität, Herrschaft liest (S. 28 f.); in den Bestimmungen des Urteils aber, da Subjekt und Prädikat sich wechselseitig bestimmen, die Idee "Kommunikativer Freiheit" niedergelegt sieht (S. 60). Die Schwierigkeit, daß von dergleichen Sozialidealen in der 'Logik' nichts zu lesen steht, bewältigt Theunissen folgendermaßen:

"Nun soll keineswegs behauptet werden, Hegel verknüpfe Liebe und Freiheit in dieser explizit sozialphilosophischen Weise. ... Hegels Logik wehrt sich grundsätz1ich gegen jede unmittelbare Inanspruchnahme für gesellschaftstheoretische oder auch intersubjektivitätstheoretische Programme. Sie tut dies allerdings keineswegs bloß deshalb, weil sie weniger ist als Sozialphilosophie..., sondern durchaus auch insofern, als sie mehr bietet. Anknüpfend an die oben gebrauchte Formulierung könnte man sagen: Nach ihrem 'normativen Ideal' setzt die Freiheit des einzelnen Subjekts, als das 'der Begriff' sich schließlich offenbart, nicht nur die Freiheit aller voraus, nämlich aller anderen Subjekte, sondern auch die Freiheit von allem von allem, was ist. Eine spezielle Intersubjektivitätstheorie präsentiert die Hegelsche Logik darum nicht, weil sie als universale Kommunikationstheorie angelegt ist."

Michael Theunissen, Sein und Schein, Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, FfM 1978, S. 46.

76) Popper hat keine Scheu, Hegel eine Überschätzung der Leistung des Denkens und seiner Begriffe vorzurechnen, die Dialektik einen billigen Taschenspielertrick zu nennen und Hegel für Stalinismus und Faschismus verantwortlich zu machen.

Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band 2, München 19754, S. 27 und passim.

77) Diesen Widerspruch rechnen Adorno Vertreter der affirmativen Metaphysik und "Rechts"-Hegelianer vor:

Bernard Willms, Theorie, Kritik, Dialektik, in: Über Th. W. Adorno, Hit Beiträgen von K. Oppens u.a., FfM 1968.

"Das Denken des Ganzen entzieht dieses der Kategorie der Veränderbarkeit." (S. 71)

"Wenn das Wahre das Ganze ist, dann muß Geschichte als begriffene zur Weltgeschichte werden. In diesem Punkt kann die kritische Sozialtheorie die Last der Theorie, die sie mit der Dialektik aufnahm, anscheinend ein wenigsten tragen. ... Die Unmöglichkeit des Durchhaltens des dialektischen Anspruchs angesichts der Unwahrheit einer für das Ganze genommenen - weil als das Ganze sich abstrakt bestimmenden - geschichtlichen Erscheinung führte, wie oben zu zeigen versucht wurde, zum Herausspringen aus der Dialektik in die Verfestigung - Abstraktion - des subjektiven Freiheitspostulats." (S. 83)

Ilse Müller-Strömsdörfer, Die 'helfende Kraft bestimmter Negation'. Zum Werke Th. W. Adornos, in: Philosophische Rundschau Jahrg. 8/1960, Heft 2/3, S. 81-105:

"Es bleibt beim 'Münchhausenkunststück' von der Annahme eines Hegelschen Resultats (des Erlöschen des Subjekts in der Erkenntnis der Sache; d. V.) bei gleichzeitiger Ablehnung seiner Prämisse (der Versöhnung von Subjekt und Objekt; d. V.), beim Versuch einer Revision ... der an Hegel zerbricht." (S. 105)

"Philosophische Dialektik ist nicht zu trennen vom Gedanken der Synthesis, der Aufhebung von Gegensätzen." (a.a.O.)

"Veränderung als philosophische Aufgabe aber widerstreitet der Idee einer prima philosophia." (S. 86)

Michael Theunissen, Gesellschaft und Geschichte, Zur Kritik der kritischen Theorie, Berlin 1969:

Theunissen kommt nicht von Hegel, sondern von Aristoteles her zum gleichen Urteil: Die Frankfurter Philosophie verwechsle 'theoria' und 'phronesis', deren letztere praktische Lebensklugheit sei und damit kritisch gegen Lebensumstände auftreten könne, ohne aber als "weniger strenge Disziplin" die Objektivität der Wissenschaft für sich beanspruchen zu dürfen. 'theoria' dagegen

"... ist weder selbst Praxis..., noch drängt sie auf praktische Verwirklichung hin. Ihre doppelte Praxisferne hängt, wie es immer um den Vorwurf des Objektivismus bestellt sein mag, jedenfalls eng damit zusammen, daß an dem schon immer vollendeten Sein, dessen Selbstgenügsamkeit sie ihre eigene Autarkie verdankt, nicht mehr aussteht." (S. 7)

78) Siehe Adorno, ND, S. 146.

"Kritiker der Kantischen Trennung von Form und Inhalt, wollte Hegel Philosophie ohne ablösbare Form, ohne unabhängig von der Sache zu handhabende Methode, und verfuhr doch methodisch."

79) Siehe dazu: Adorno, Drei Studien zu Hegel, FfM 1963, S. 81 (im folgenden: 3 Studien)

80) a.a.O., S. 91.

81) Adorno, ND, S. 146.

82) a.a.O. S. 160.

83) a.a.O., S. 152.

84) So behauptet Adorno von sich selbst, daß sein Denken sich der "Clownerie" nähere (ND, S. 24), daß der "Gedanke, der vor dem elend Ontischen nicht kapituliert", sondern widerspricht, "vor dessen Kriterien zunichte" wird, "Wahrheit zu Unwahrheit, Philosophie zur Narretei". (ND, S. 394) Ja er geht noch weiter und behauptet tatsächlich die Verwirrung des Denkens als Bedingung der Wahrheit:

"Wahr sind nur Gedanken, die sich selber nicht verstehen.

(ND, S. 55 f.)

85) Arnold Künzli "psychiatrisiert" Adorno geradezu, indem er versucht, seine Philosophie als die Ausgestaltung einer Paranoia zu deuten. Diese psychologische Betrachtung von Theorie verfehlt freilich ihren Gegenstand, weil sie nicht die Qualität der Argumente prüft, sondern hinter diesen ihre Gesetze meint auffinden zu müssen. Arnold Künzli, Linker Irrationalismus. Zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, in: ders., Aufklärung und Dialektik. Politische Philosophie von Hobbes bis Adorno, Freiburg 1971.

Heiner Höfener weist diese Betrachtungsweise zurecht und scharf zurück, räumt dann aber Künzlis Behauptung ein, daß Adorno einem Wahn unterworfen gewesen sei, und bewertet nur diese fast klinische Diagnose umgekehrt:

"Daß Adorno einen neuen Mythos formulierte - den des 'Wahns' - muß allen aufgeklärten Aufklärern als purer Wahn erscheinen."

Höfener dagegen erscheint es als dasselbe wie Wahrheit:

"Für Adorno wie auch für Horkheimer kommt dem Wahn eine Würde zu, wie sie sonst nur der Wahrheit zu eigen ist. In ihrer Philosophie ist die Differenz zwischen Wahrheit und Wahn minimalisiert, ja, sie halten sie für identisch gemäß dem Satz, daß Extreme sich berühren."

Heiner Höfener, Funke, Wahn und Feuerwerk. Wie verrückt ist die kritische Theorie?, in: Der Monat, Heft 1, 31. Jahrg. 1979, S. 113.

86) Siehe die schon besprochene Stelle aus Karl Popper, Was ist Dialektik; Fußnote 27 des Einleitungskapitels.

Auch Müller-Strömsdörfer spielt auf eine Unfaßbarkeit des Adornoschen Denkens an, weil es sich gegen den Widerspruch nicht wehre:

"Denn - wie es scheinen will - entzieht sich ein Denken dem Zugriff, für das Widerspruch nicht Not ist, die gewendet, nicht Unrichtigkeit, die aufgelöst werden muß, und das selbst eigene Widersprüchlichkeit noch methodisch bewußt als 'Unmöglichkeit um der Möglichkeit willen' einplant."

Allerdings widerlegt sie praktisch die Unfaßbarkeit Adornos.

Ilse Mtiller-Strömsdörfer, a.a.O., S. 81

86a) Dieser Satz verrät seine Herkunft aus einer "formalen Logik", die keine inhaltlichen Zusammenhänge zwischen Urteilen mehr zur Kenntnis nehmen will: das "sequitur" steht nicht für einen Schluß, den das Antecedens erlaubt bzw. notwendig macht, und das Consequens wird als grundlose "Implikation" aufgefaßt, so daß per Wahrheitswert(!)tafel für jedes falsche Antecedens der Wahrheitswert "falsch" und der Schluß als gleichgültig behauptet werden kann.

87) Siehe Adorno, 3 Studien, S. 91:

"Daß Hegel gegen das klappernde Schema der Triplizität Thesis, Antithesis, Synthesis als eines der bloßen Methode die schneidendsten Einwände äußerte; daß es in der Vorrede zur Phänomenologie heißt, solange es Schema, also bloß den Gegenständen von außen aufgeprägt bleibe, erlerne der 'Pfiff' sich rasch",

zeigt Hegels und Adornos Selbstverständnis der Dialektik, daß sie solches jedenfalls nicht sein sollte.

88) "Die Universalität der Negation ist keine metaphysische Panazee, der sich alle Türen öffnen sollen, sondern einzig die zum Selbstbewußtsein gediehene Konsequenz aus Jener Erkenntniskritik, welche die Panazeen zerschlug. Mit anderen Worten, Hagels Philosophie ist in eminentem Sinn kritische Philosophie."

Adorno, 3 Studien, S. 93.

89) An dieser Stelle unterscheidet Adorno in einer Fußnote einmal die theoretische, denkanalytische Bedeutung dieser Kategorien von dem sonstigen metaphysischen Verständnis als Schema der Triplizität: Unmittelbarkeit, Kritik derselben und Kritik dieser Kritik: Einverständnis.

"Wie fast eine jegliche der Hegelschen Kategorien hat auch die der negierten und dadurch positiven Negation einigen Erfahrungsgehalt. Nämlich für den subjektiven Fortgang philosophischer Erkenntnis. Weiß der Erkennende genau genug, was einer Einsicht fehlt oder worin sie falsch ist, so pflegt er kraft solcher Bestimmtheit das Vermißte bereits zu haben."

Adorno, ND, S. 159, Fußnote.

Aus dem folgenden ebenfalls richtigen Satz -

"Nur darf dies Moment der bestimmten Negation, als seinerseits ein Subjektives, nicht der objektiven Logik und gar der Metaphysik gutgeschrieben werden." -

folgert Adorno allerdings eine Seite weiter, die "positive Negation der Negation" müsse um der Kritik willen unterbleiben. Auf diesen Schluß kommt er nur dadurch, daß er selbst sie 'der Metaphysik gutgeschrieben' hat.

89a) Auf dem Standpunkt dieser Gleichsetzung von Denken und Legitimation, dieses metaphysischen Mißverständnisses der Hegelschen Logik, steht nicht nur Adorno, sondern praktisch die gesamte zustimmende und ablehnende Rezeption Adornos. Die einfache Negation, die nicht bis zur Identität der Sache weiterbestimmt wird, gilt Vertretern und Anhängern der Frankfurter Schule nicht als mangelhaftes Denken, sondern als Garant von 'Nicht-Affirmativität'; der Gegenseite fällt meist der Denkfehler auf, aber nur um daran das Kritische, den Mangel an Versöhnung zu monieren.

So nennt Carlo Pettazzi (Studien zu Leben und Werk Adornos bis 1938, in: Text und Kritik Sonderband 'Theodor W. Adorno', Hrsg. Heinz Ludwig Arnold, München 1977, S. 35) das Stehenbleiben des Denkens im Widerspruch den "diadischen Charakter" von Adornos Dialektik, die jedoch, aber eben nur in der Zukunft, "danach strebt, sich in der Trias auf zulösen.

Für Ulrich Sonnemann (Jenseits von Ruhe und Unordnung, Zur Negativen Dialektik Adornos, in: Über Th. W. Adorno, FfM 1968, S. 122/121) gilt der gleiche Fehler als Dialektik überhaupt; sie sei nämlich "das Prinzip, mit welchem Denken sich ins Wort zu fallen ... sich gebietet." Als solches erst ist es Kritik:

"Daß Denken sich in Widersprüchen entfaltet; von seiner Sache her gesehen die Bewegung ist, die deren Konflikt aus sich selbst und über ihre Grenzen hinaustreibt, liegt seit Platon einem Begriff von ihm, dessen Name Dialektik ist, zugrunde."

Auf der anderen Seite wird genau dieselbe Feststellung getroffen - und umgekehrt bewertet.

Ilse Müller-Strömsdörfer:

"Indem statt des Begriffs der Aufhebung, der des Widerspruchs in den Mittelpunkt des Denkens rückt, ist die Bewegung gegenüber dem Ziel verselbständigt. Die Tendenz zur Polarisierung, zur Zweistufigkeit gegenüber dem Hegelschen Dreischritt, springt überall ins Auge."

Allerdings, fährt sie dann fort,

"ist zu fragen, ob ein Denken, dessen Synthesis die Nichtsynthesis ist, noch seinen Platz unter dem Terminus 'Philosophische Dialektik' hat." (a.a.O., S. 105)

Entschiedenere Vertreter der eher ontologischen Richtung gehen weiter: Härting (a.a.O., S. 291) vermißt an der 'einfachen, nicht positiven Negation' Adornos, daß sich dieses Denken nicht selber negiert, dann wäre der kritische Impuls auch wieder gestillt:

"Die 'Negation des Negativen', nämlich des eigenen kontradiktorischen Denkvollzugs, wird gar nicht erst in Angriff genommen."

Joseph E. Schmucker (Adorno - Logik des Zerfalls, Stuttgart/Bad Cannstatt 1977) verfaßt ein ganzes Buch mit dem einen Gedanken, daß eine Theorie, die die universelle Negativität behauptet, die also kritisiert und nicht versöhnt, zuerst einmal an sich selbst zu denken habe:

"Das Ergebnis der Adornoschen Gesellschaftstheorie: daß da Ganze das Unwahre ist, ist ... zugleich der systematische Punkt, von dem aus Erkenntnis kritisch zur Frage nach der Möglichkeit ihrer eigenen Wahrheit übergehen muß. ... Die Frage nach der Möglichkeit einer Theorie, die inmitten des Unwahren der Wahrheit sich versichern will." (S. 133)

"Vollendet kritisches Denken bewährt sich damit als 'offenes', als 'Negation der Negation, welche nicht in Position übergeht'. Ist dann aber das Ganze noch als das Unwahre zu behaupten, wenn eingesehen wird, daß Dialektik als Methode und als eine der Sache divergieren?" Sodann fordert Schmucker eine "Selbstnegation der Theorie". (S. 144)

Weitere Beispiele dieser grundsätzlichen Ineinssetzung von Negation im Denken und Kritik, bzw. Erkenntnis und Affirmation finden sich in den Fußnoten 77 und 105 dieses Kapitels, sowie Fußnote 98 des vorigen Kapitels.

Selbst Autoren, die sich hier um eine Differenzierung bemühen, stehen so unter dem Einfluß von Adornos Gleichsetzung, daß sie schließlich auch auf sie verfallen. Eine solche Ausnahme bildet Hans Heinz Holz (Mephistophelische Philosophie, in: Die neue Linke nach Adorno, Hrsg. Wilfried F. Schoeller, München 1969). Er beginnt seine Bestimmung des dialektischen Denkens mit einer Bestimmung der Negation des Unmittelbaren, die nicht mehr besagt als "Prüfung", d.h. Kritik oder Affirmation durchaus noch abhängig von der besonderen Natur des Objekts sieht:

"Nun kommt allem Denken das Moment des Negativen zu, ein Bestehendes und Geltendes in seine Elemente und Bestimmungsgründe aufzulösen, indem die darin vereinten Gegensätze unterschieden und so aus der Unentschiedenheit herausgetrieben werden, bis Bestand und Geltung zerfallen." (S. 178)

Indem er jedoch diese Tätigkeit der Prüfung zu einer universellen und - unabhängig vom Objekt - auch nie zu beendenden Tätigkeit des Denkens erklärt, fällt er in die Methodik der negativen Dialektik zurück:

"Diese Grenze, innerhalb deren Denken einen Halt haben kann, bringt die Kritik wieder zu Fall, macht es haltlos und setzt die Bewegung des Denkens wieder in Gang. Dergestalt gibt es ... eine philosophia perennis als die ewige Selbstzerstörung der Philosophie im Fortgang ihres Aufbaus." (S. 179)

90) Adorno, ND, S. 153.

91) a.a.O., 5.159.

92) Siehe dazu oben S. 124; sowie Adornos richtige Verteidigung Hegels:

"Von allen Verdrehungen Hegels durch die dümmliche Intelligenz ist die armseligste, Dialektik müsse unterschiedslos alles gelten lassen oder nichts."

Adorno, 3 Studien, S. 93.

93) a.a.O., S. 96 f.

94) Noch einmal ist gegen Adorno einzuwenden, daß abstrakte Ober- und Gattungsbegriffe nicht per se fehlerhafte wissenschaftliche Erklärungen anzeigen. Z.B. ein Tier als Exemplar seiner Gattung erkennen, heißt alles über es wissen. Das Beispiel, das Adorno für abstrakte Oberbegriffe anführt, "Industriegesellschaft" (ND, S. 153 Fußnote), ist freilich falsch, aber nicht weil abstrakt oder weil Oberbegriff, sondern weil in dieser Abstraktion gar nicht die abstrakte Bestimmung unserer Produktionsweise angegeben wird. Der abstrakte Begriff hätte eben nur den Zweck der Produktionsweise getrennt von allen seinen besonderen Momenten anzugeben, anstatt wie hier - und wie Adorno selbst kritisiert - die Identität der Produktionsweise in ihr Mittel zu legen, ein Mittel zudem, dem diese Produktionsweise nicht uneingeschränkt positiv gegenübersteht. Adorno aber beweist hier am fa1schen abstrakten Begriff seinen Vorbehalt gegen abstrakte Begriffe.

95) Siehe dazu: Adorno, 3 Studien, S. 60.

"Er (Hegel; d. V.) hat als erster wohl, in der Phänomenologie, ausgesprochen, daß der Riß zwischen Ich und Welt durchs Ich selber nochmals hindurchgeht."

96) a.a.O., S. 93.

97) Tugendhat z.B. bezeichnet schon bei Hegel die "These vom realen Widerspruch" als "Skandalon", mehr aber noch die "Art, wie die Begriffe Identität, Negation usw. zunächst deskriptiv angesetzt werden." Er sieht hier eine "an primitiven Modellen orientierte Unbekümmertheit, mit der im deutschen Idealismus die logischen Kategorien deskriptiv in Ansatz gebracht wurden und immer noch ... werden." Tugendhat betont richtig: "Nur Prädikate kann man negieren, und diese weisen ihrerseits auf Negationen von Sätzen zurück." Trotzdem geht diese Kritik am "objektiven Widerspruch" zu weit. Dies kündigt sich schon in obiger Formulierung an, wo Tugendhat sich dagegen wendet, logische Kategorien "deskriptiv" zu verwenden. Es fragt sich doch, was da beschrieben werden soll. Geht es um das Denken, dann sind logische Kategorien eben die treffende Beschreibung; die Differenz hängt also nicht an "deskriptiv", sondern am jeweiligen Gegenstand. Daß im Falle des "realen Widerspruchs" eine "gegenständliche Interpretation der Bestimmungen, die in Wirklichkeit sprachliche sind", vorliegt, mag (abgesehen davon, daß alle Bestimmungen sprachliche sind und sein müssen - diese formelle Unterscheidung von Wirklichkeit und Sprache trennt absolut -) noch eher angehen als die ähnliche Charakterisierung des gleichen Fehlers, hier würde "der propositionale Charakter der Negation übersprungen." Hier wird, anders ausgedrückt, der Umstand, daß Negation ein Urteil ist und kein Ding, zum Anlaß genommen, auch schon den Versuch aufzugeben, dieser metaphorischen Redeweise ihren doch oft rationellen Inhalt abzugewinnen.

Alle Zitate: Ernst Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen, FfM 1979, S. 303-305.

98) Siehe FN 90 des vorigen Kapitels.

99) Adorno, ND, S. 60.

100) a.a.O. S. 146.

101) a.a.O., S. 48 f.

102) "Gegenüber der totalen Herrschaft von Methode enthält Philosophie, korrektiv, das Moment des Spiels, das die Tradition ihrer Verwissenschaftlichung ihr austreiben möchte."

ND, S. 23 f.

103) "Dazu muß sie (Metaphysik; d. V.) sich auf das Wünschen verstehen."

ND, S. 397.

104) "Nicht anders vermag der Begriff die Sache dessen zu vertreten, was er verdrängte, der Mimesis, als indem er in seinen eigenen Verhaltensweisen etwas von dieser sich zueignet, ohne an sie sich zu verlieren."

ND, S. 24.

105) Mit der richtigen Erinnerung gegen Adorno, daß ein "negatives Denken", das seine Sache bloß in Gegensätze zerlegt und sie im Gedanken nicht mehr zusammenbringt, in jedem Fall ungenügend ist, wird zumeist auch schon der metaphysische Zusatz mitgedacht: wenn das Denken sein Objekt ganz hat, dann sei es auch schon versöhnt. Mit dem richtigen Einwand gegen die Leistung des Denkens bei Adorno wird also zugleich das kritische Resultat in Zweifel gezogen. Siehe die Fußnoten 77 und 89a dieses Kapitels. Andererseits aber hat diese Kritik auch gegen Adorno recht, da seine, durch die Negation konstruierten Gegensätze keine wirkliche, also weder theoretisch noch praktisch aufhebbare Opposition bilden. Am härtesten hat dies Thomas Härting formuliert:

"Sein (Adornos; d. V.) Verneinen ist undialektisch, weil es nicht aus Gründen der Sache hervorgeht, sondern lediglich das eigene abseitige Unwesen betreibt." "Das Vorgehen der negativen Reflexion erschöpft sich so vor allem darin, kontradiktorische Allgemeinheiten zu setzen, die ins schlechte Unendliche ihres Widerspruchs vermittelt werden. Dem je Gesetzten wird das Entgegengesetzte vorgehalten. Dabei kommen oft nur 'sogenannte' kontradiktorische Begriffe (Hegel) zustande. Die Reflexion findet das nicht weiter anstößig; ihr ist es um Festmachung irgendeines Gegenteils zu tun, das sich nicht aufheben läßt. Widerspruch soll sein, Affirmation hingegen nicht."

"Das Allgemeine steht wider das Besondere, Abstraktes wider Konkretes, Subjekt wider Objekt, Ich gegen Man, Geist gegen Gesellschaft - und so weiter und so fort; lauter disparate Gedankendinge."

Thomas Härting, Ideologiekritik und Existenzphilosophie. Philosophische Stellungnahme zu Th. W. Adornos 'Jargon der Eigentlichkeit', in: Zeitschrift für philosophische Forschung Bd. 21, Heft 2 1967, S. 290 f.

106) Zur Frage der ökonomischen Qualität von Adornos Untersuchung des Tausches siehe z.B. Christel Beyer, a.a.O., S. 93-99;

Giacomo Marramao, Zum Verhältnis von Politischer Ökonomie und Kritischer Theorie, in: Ästhetik und Kommunikation, Heft 11/1973 FfM, S. 79-83.

Otwin Massing (a.a.O., S. 43) erwähnt ebenfalls, daß Tausch nicht als die Vermittlung der Privatarbeiten, sondern als universeller Abstraktor die Welt nivelliert und zugleich entfremdet; er schreibt, bei Adorno findet sich an ökonomischen Einsichten kaum mehr, als daß "das Tauschprinzip alles verhext habe."

Karl-Heinrich Birzele nennt es deshalb einen richtig mythischen "Weltbewegungsgrund" (a.a.O., S. 147 ff).

107) Siehe oben S. 68 f.

108) Adorno, ND, S. 188.

109) Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, MEW 23, S. 208.

110) Siehe ders., Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 18.

111) In der Kritik an Proudhon bespricht Marx den englischem Sozialutopisten Bray als den Vater des Proudhonschen Ideals eines gerechte als Gegenbild zur Ausbeutung. Diese Stelle könnte direkt an Adorno gerichtet sein.

"So entspricht auch der individuelle Austausch einer bestimmten Produktionsweise, welche selbst wieder dem Klassengegensatz entspricht; somit kein individueller Austausch ohne Klassengegensatz.

Aber das Biedermannsgewissen verschließt sich dieser evidenten Tatsache. Solange man Bourgeois ist, kann man nicht umhin, in diesem Gegensatz einen Zustand der Harmonie und ewigen Gerechtigkeit zu erblicken, der niemandem erlaubt, sich auf Kosten des anderen Geltung zu verschaffen. Für den Bourgeois kann der individuelle Austausch ohne Klassengegensatz fortbestehen.

Herr Bray erhebt die Illusion des biederen Bürgers zum Idea1 das er verwirklichen möchte. Dadurch, daß er den individuellen Austausch reinigt, daß er ihn von allen widerspruchsvollen Elementen, die er in ihm findet, befreit, glaubt er, ein ega1itäres Verhältnis zu finden, das man in die Gesellschaft einführen müßte.

Herr Bray ahnt nicht, daß dieses egalitäre Verhältnis, dieses Verbesserungsideal, welches er in die Welt einführen will, selbst nichts anderes ist als der Reflex der gegenwärtigen Welt und daß es infolgedessen total unmöglich ist, die Gesellschaft auf einer Basis rekonstituieren zu wollen, die selbst nur der verschönerte Schatten dieser Gesellschaft ist. In dem Maße, wie der Schatten Gestalt annimmt, bemerkt man, daß diese Gestalt, weit entfernt, ihre erträumte Verklärung zu sein, just die gegenwärtige Gestalt der Gesellschaft ist."

Marx, Das Elend der Philosophie, MEW 4, S. 105.

112) Adorno, ND, S. 148.

113) a.a.O.

113a) An anderen Beispielen entdecken auch Tomberg und H.J. Köhler die notwendige Irrealität des Ideals. Utopisch entwirft Adorno

"eine Welt des Glücks, aber ohne Macht, eine Welt des Lohnes, aber ohne Arbeit; Heimat ohne Grenzstein, Religion ohne Mythos. Die Gewalt ist abgeschafft, und der Gedanke hat sich von der Herrschaft befreit. Kurzum: es ist eine Welt, die es als materielle niemals geben kann, eine Welt, die als bloß geistige zu denken ist, d.h. die gar nicht zu denken ist - außer vielleicht im Gefolge einer Philosophie des Deutschen Idealismus."

Friedrich Tomberg, Utopie und Negation. Zum ontologischen Hintergrund der Kunsttheorie Adornos, in: Das Argument, Heft 26, S. Jahrg. Juli 1963, S. 42.

"So konstruiert Adorno mit seiner Theorie der bürgerlichen Rationalität einen unaufhebbaren Zirkel von Herrschaft, der mit der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion unabdingbar gesetzt ist."

Hans-Joachim Köhler, Th. W. Adornos Konzeption einer kritischen Theorie der Gesellschaft; Diss. am FB Philosophie und Sozialwissenschaften der Freien Univers. Berlin 1974.

114) Das Verdienst, den affirmativen Charakter der Ideale aufgezeigt zu haben, kommt vor Marx Hegel in einem doppelten Sinn zu. Einerseits konnte er in der Tat nachweisen, daß die Ideale des Bürgertums, Freiheit und Gleichheit, im modernen Rechtsstaat verwirklicht sind, wie sie es ihrem Begriff entsprechend einzig sein können; zum anderen hat er klargestellt, daß über die Wirklichkeit hinausgehende Vorstellungen von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, an denen ihre eigene Wirklichkeit dann kritisch gemessen werden müßte, absurd sind.

Siehe dazu die Kritik der absoluten Freiheit: ders., Phänomenologie des Geistes, a.a.O., S. 414-422.

Zur Kritik der "nicht bloß formalen, sondern materialen Gleichheit": Rechtsphilosophie, WW 7, § 49,.mündl. Zusatz:

"Die Gleichheit, die man in Beziehung auf die Verteilung der Güter einführen möchte, würde, da das Vermögen vom Fleiß abhängt, ohnehin in kurzer Zeit wieder zerstört werden. Was sich aber nicht ausführen läßt, das soll auch nicht ausgeführt werden."

115) Adornos Sprache verrät dieses Wissen um die Unerfüllbarkeit seiner utopischen Wünsche. Die bevorzugte Kopula seiner Urteile ist nicht die des Aussagesatzes, nicht das 'ist', sondern sein Irrealis, das 'wäre' - die Form für den unerfüllbar gedachten Wunsch.

Ein Beispiel mag für die zahllosen stehen: "Der Begriff des intelligiblen Bereichs wäre der von etwas, was nicht ist und doch nicht nur nicht ist." (Hervorh. d. V.) Adorno, ND, S. 383.

116) a.a.O., S. 52.

117) a.a.O., S. 36 f.

118) a.a.O., S. 163.

119) a.a.O., S. 162.

120) Hegel untersucht die abstrakteste Kategorie, mit der versucht wird, bestimmtes Seiendes zu fassen: das "Etwas". "Jedoch ist Etwas noch eine sehr oberflächliche Bestimmung." (Logik I, S. 102)

"Um den Unterschied (von Etwas und etwas Anderem; d. V.) und das als affirmativ zu nehmende Etwas zu fixieren, dient das Dieses. Aber Dieses spricht eben es aus, daß dies Unterscheiden und Herausheben des einen Etwas ein subjektives, außerhalb des Etwas selbst fallendes Bezeichnen ist. In dieses äußerliche Monstrieren fällt die ganze Bestimmtheit; selbst der Ausdruck: Dieses enthält keinen Unterschied; alle und jede Etwas sind gerade so gut Diese als sie auch Andere sind. Man meint durch 'Diese' etwas vollkommen Bestimmtes auszudrücken..."

(a.a.O., S. 104)

Etwas hat also nur den abstrakten und allgemeinsten Inhalt, daß mit ihm Bestimmtes, damit für sich seiendes gemeint ist, das eben nicht zugleich und von vornherein auch schon etwas anderes einschließt.

"Somit ist Ansichsein (des Etwas; d.V.) erstlich negative Beziehung auf das Nichtdasein, es hat das Anderssein außer ihm und ist demselben entgegen; insofern Etwas an sich ist, ist es dem Anders-sein und dem Sein-für-Anderes entnommen."

(a.a.O., S. 107)

Insofern aber das Etwas noch keinen Inhalt hat, besteht - ehe der Übergang in die bestimmte Qualität in Betracht gezogen wird - seine Identität einfach darin, nicht das Andere zu sein; somit in der negativen Beziehung auf das andere:

"Aber zweitens hat es das Nichtsein auch selbst an ihm; denn es selbst ist das Nichtsein des Seins-für-Anderes." (a.a.O.) Seine Bestimmung macht "das immanente und zugleich negierte Sein-für-Anderes, die Grenze des Etwas aus." (a.a.O., S. 104)

121) Hegel, Logik I, S. 107.

122) Gerade vom entgegengesetzten Fehler aus, von der Versicherung einer von keinem Denken aufzulösenden Substanz, dem 'Sein' her, wird der Fehler Adornos, die Auflösung des An-sich der Dinge im Denken in Verhältnis, Vermittlung, Funktion, kurz: Sein-für-Anderes bemerkt. Ilse Müller-Strömsdörfer sieht bei Adorno "die Reduktion des Seinsbegriffs auf den Funktionsbegriff sozialer Existenz" - als "Erbsünde immanenter Kritik" (was ihr Fehler ist). Sie hat völlig recht, wenn sie schreibt, daß bei Adorno ein "de facto soziologisches Denken" vorliegt und er den Funktionsfehler der "Soziologie zum Denkmodell" macht. (Müller-Strömsdörfer, a.a.O., S. 84 und 103)

123) Adorno, ND, S. 164.

124) Dieter Henrich weist darauf hin, daß die Behauptung, die Pole seien, was sie sind, nur durch das Verhältnis, zu "dürrsten" Resultaten bei Adorno führen muß, da das - und sei es negative - Verhältnis die einzige Bestimmung der Sache bleibt:

"Adorno arbeitet mit dem Minimalinventar alles Hegelianismus, mit den beiden Wechselimplikationen Allgemeines-Besonderes und Subjekt-Objekt. Daß jedes nur in Beziehung auf sein Gegenteil zu denken sei, ist dessen These. Daß die Negation beider ein Besonderes, das nicht der Fall ist, oder ein Ding, das nicht mehr Objekt ist, ergebe, macht Adornos Revision aus. Die Kargheit dieses Resultats offenbart die Dürre dessen, aus dem es gezogen wurde: ein formaler Vorbegriff von Subjekt und Allgemeinheit und eine unaufgelöste Gleichung zwischen beiden."

"Mit ihr (der These von der Negativität und Kritik der Dialektik; d. V.) befindet er (Henrich; d. V.) sich in Übereinstimmung. ... Auf die Bestimmtheit ihres Sinnes kommt es aber an. .. Es widerstreitet der Logik jeglichen Gedankens, der sich dialektisch nennen kann, jenseits der Konkretion, welche ihm die Analyse verleiht, auf die bare Duplizität hinauszulaufen, daß 'Herrschaft' sei und Freiheit sein solle."

Dieter Henrich, Diagnose der Gegenwart - Th. W. Adorno: 'Negative Dialektik', Rezension in der FAZ vom 10.10.1967.

125) Als Beispiel für das "Funktionsdenken" von Parsons und das Zusammenfallen von methodischen Strategien mit den materialen Resultaten soll die Erklärung wirtschaftlichen Handelns von Parson herausgegriffen und kurz erörtert werden.

Die Analyse beginnt mit dem Bekenntnis, daß alle besonderen Handlungen zunächst auf gesellschaftliches Handeln reduziert werden - um dann als solches zu erscheinen; sie macht den Anfang mit der

"Feststellung, daß wirtschaftliches Handeln sich in dem 'institutionellen' Rahmen einer Gesellschaft abspielt; wirtschaftliches Verhalten ist, konkret gesehen, ein Aspekt des institutionellen Verhaltens."

(Parsons, Die Motivierung des wirtschaftlichen Handelns, in: ders., Soziologische Theorie, Neuwied/Berlin 1964, S. 146)

Hat man sich für diese Sichtweise entschieden, dann gilt das besondere Handeln mit seinen besonderen Zwecken als eine Art des allgemeinsten auf Gesellschaft gerichteten Handelns. Dieses wird von Institutionen "kanalisiert", damit auch funktioniert:

"Von diesem Standpunkt aus gesehen, stellt die institutionelle Struktur einen 'Integrationsmodus' für die Handlungen der ihr zugeordneten Individuen dar. Die Integration eines sozialen Systems, das stabil bleiben und tödliche innere Konflikte vermeiden soll, scheint funktional erforderlich." (a.a.O., 5, 149)

Nach seiner Reduktion auf das gesellschaftliche Handeln wird das ökonomische nicht mehr als das, was es ist, sondern noch relativ, funktional in Bezug auf das soziale System bestimmt. Was es ist, ist für Parsons seine Funktion für das System. Weil dieses die einzige Bestimmung des Ökonomischen Handelns ist, kommt auch keine Aufklärung mehr darüber, wie es nun dem großen Ganzen dient. Allein daß es eine Funktion hat, die - was Wunder - das Funktionieren des Ganzen bewirkt, daß es diese Funktion aber auch zuverlässig tragen muß, weil sonst das Ganze nicht funktionieren würde, ist noch zu erfahren.

Über die Reproduktion des methodisch schon vorweg sicheren Standpunkts, daß das wirtschaftliche Handeln funktional für die Gesellschaft betrachtet werden sollte, kommt die Analyse dem Inhalt nach also an keiner Stelle hinaus; und zwar auch dann nicht, wenn Lohn, Gewinn und andere besondere Momente des Wirtschaftens in diesen Betracht gezogen werden.

128) Adorno, ND, S. 33.

127) a.a.O.

128) ders., ND, S. 34.

129) Wulf Rehfus sieht ebenfalls, daß für die "Konstellation" ebendieselben Bestimmungen gelten wie für das kritisierte "System":

"Das Modelldenken in Konstellationen statt der Deduktion innerhalb eines Systems impliziert genau das, wovon er sich polemisch abheben will: das Modell ist die Vermittlung von Besonderem und Allgemeinem in ihrer Nichtidentität." (a.a.O., S. 32)

130) Adorno, ND, S. 163.

131) a.a.O., S. 162.

132) Adorno, Minima Moralia, FfM 1951 (im folgenden: MM), S. 57.

133) Adorno, 3 Studien, S. 92.

134) Siehe oben Abschnitt 2 "Der Fehler Hegels", Punkt d).

135) Adorno, 3 Studien, S. 93.

136) ders., ND, S. 153.

137) a.a.O., S. 101.